Ein FSJ in Ghana Folge 18: Transatlantischer Sklav*innenhandel

Ein FSJ in Ghana Folge 18: Transatlantischer Sklav*innenhandel

Mein erster Blick auf das Cape Coast Castle.

Den heutigen Beitrag habe ich ein wenig vor mir hergeschoben – das Thema ist zu groß, um angemessene Worte auszuwählen, das Thema ist so groß, dass es schon viel professioneller einzufangen versucht wurde. Allerdings wäre es genauso unpassend, das bis heute präsente und meinen Freiwilligendienst durchaus charakterisierende Thema „Kolonialismus“ ganz außen vor zu lassen.

In diesem Beitrag versuche ich deshalb, nach bestem Wissen und Gewissen mögliche Fenster zur tieferen Beschäftigung für mich und euch zu öffnen. Dabei spreche ich allerdings als Laie, als Nicht-Betroffene, als Verantwortliche. Ich spreche als Person, die das erste Mal im Cape Coast Castle wortwörtlich in Berührung mit dem Thema „Kolonialismus“ kam.

Cape Coast Castle

In Cape Coast gibt es neben dem Castle für Verwaltung und Handel auch noch viele weitere Spuren der Kolonialisierung, wie dieses ältere Gebäude zeigt.

Das Fort diente seit Errichtung als Handelsstützpunkt europäischer Länder und trug im 17. Jahrhundert unter anderem die schwedische, die niederländische und die dänische Flagge, bis sich ab 1665 Großbritannien behauptete. Der Handel beschränkte sich mit der Zeit allerdings zunehmend weniger auf Rohstoffe, die Kolonialmacht koordinierte und praktisierte im Cape Coast Castle die Versklavung von Menschen.

Die Festung kann dabei als eigene Stadt beschrieben werden und diente den Besatzenden als Verwaltungsgebäude und als Unterkunft mitsamt luftigen Schlafräumen, eigener Kantine und katholischer Kirche. Das Castle stand offen für Händler, die zwischen den gelben Wänden der Palaver Hall Menschen kauften.

Die transatlatischen Schiffe konnten aufgrund ihrer Größe nicht direkt an der felsigen Küste anlegen. Die Gefangenen wurden daher aneinandergekettet erst einmal in kleinere Boote gebracht, wie eine Zeichnung im Museum zeigt.

Die verkauften und nummerierten Sklav*innen wurden anschließend in das Gefängnis geführt. Dafür mussten sie hinunter, unter die weißen Verwaltungsgebäude, runter in den Felsen und in dunkle, feuchte, heiße Erde. Die wenigen Fenster hoch oben in der Wand sind eigentlich zu klein, als dass dadurch Tageslicht, etwas Regen oder auch nur frische Luft eindringen kann. Durch ein anderes Loch in der Decke riefen die britischen Soldaten Befehle in einer fremden Sprache oder warfen Essen auf die Gefangenen. An die damals knöchelhohe Masse an Urin, Fäkalien, Blut, Schweiß, Tränen und Erbrochenem erinnert heute nur noch ein Quadratmeter grauer Bodenbelag, welcher bei den Renovierungsarbeiten erhalten wurde. Die bis zu 1.500 Menschen warteten bis zu drei Monate auf die Verschiffung oder auf den Tod. Es gab nur drei Wege aus den Zellen: Weibliche Gefangene wurden in den Räumen der Besatzer vergewaltigt, aufständige Gefangene in der Execution Cell außnahmlos ermordet. Der dritte Weg führte durch die „Door of no Return“ zu den großen Transportschiffen, wo sie zum ersten Mal seit langem wieder Tageslicht und Meer erblickten, nur um auf die großen Überseeschiffe geladen zu werden – wer sich entschloss zu springen, zog alle angeketteten Personen mit in die Wellen.

Fort São Jorge da Mina

Das schwarz-weiße Elmina Castle vor blauem Himmel und türkisenem Ozean.

Nur wenige Kilometer weiter westlich thront das Elmina Castle und ist in jeglicher Hinsicht ein Superlativ: Von Portugal 1482 errichtet ist die Festung nicht nur das erste Fort in Ghana, sondern auch das älteste europäische Gebäude in Westafrika. Von dem größten Fort Ghanas verschifften die portugiesischen, niederländischen und britischen Kolonialmächte zahllose versklavte Menschen nach Amerika zur Plantagenarbeit oder nach Indonesien, um das niederländische Militär zu unterstützen.

Der größte Superlativ für mich persönlich war allerdings die überpräsente Doppelmoral auf dem unaushaltbar schönen Elmina Castle: Die Burg erhebt sich in paradisischer Kulisse direkt an der palmengesäumten Küste über eine Fischereistadt. Alles glänzt weiß wie Schnee und schwarz wie Ebenholz, nur das Blutrot ist eben nicht sichtbar. Hoch oben sind erneut die Räumlichkeiten der Kolonialherren platziert – allein das Schlafzimmer größer als eine Gefängniszelle für hunderte Personen. Auch die Kirche befand sich über den Köpfen der Gefangenen, welche somit zu Zeug*innen des Kirchengesangs und der Predigten über Nächstenliebe wurden.

Die Kirche im Innenhof beherbergt heute eine kleine Ausstellung.

Das alles macht mir deutlich, dass es sich beim transatlantischen Sklav*innenhandel neben der grausamsten ökonomischen Objektifizierung zusätzlich um eine systematische, bewusste Entwürdigung von Menschen handelt. Im Jahr 2022, also drei Jahrhunderte später, lassen sich die hier begangenen Verbrechen nur noch erahnen – aber schon diese Ahnung erzeugte bei mir Gefühle der Beklemmung, Ohnmacht, Schuld.

Der weitere Weg

Die Sklav*innenburgen in Cape Coast und Elmina sind nur zwei der 32 Forts, die heute noch bestehen und inzwischen zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen. Ghana hatte somit die höchste Dichte an europäischen Festungen entlang der afrikanischen Küste. Schätzungen zufolge brachten die Kolonialmächte zwischen sechs und zehn Millionen Menschen noch bis ins 19. Jahrhundert von Westafrika nach Amerika.

Der Weg der Sklav*innen begann, noch endete er in den Forts. Meine Besuche im Cape Coast und Elmina Castle nehme ich allerdings als Anlass, mich tiefer mit der Kolonialgeschichte Ghanas zu beschäftigen. Und somit auch mit einem essentiellen Teil europäischer und ja, auch deutscher, Geschichte.

Meine Partner:    weltwärts      bezev e.V.     Norsaac

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