Willkommen zurück in Deutschland!
Eine Mitfreiwillige aus Ghana beschrieb kurz nach ihrer Rückreise das Gefühl, all ihre Auslandserfahrungen würden in einen halben Koffer passen. Auch für mich rückt der Freiwilligendienst erstaunlich schnell in den Hintergrund – meine Erlebnisse, meine Bekannten und mein Lebensgefühl in Ghana sind nur noch verblassende Erinnerungen.
Zurück in Deutschland ecke ich jedoch immer wieder an, insbesondere an mir selbst. In diesem letzten Beitrag möchte ich deshalb darüberschreiben, welche Spuren die 560 Tage meines weltwärts-Freiwilligendienstes bei mir hinterlassen.
Mein sogenannter Kulturschock kündigt sich eher harmlos an, indem ich wieder und wieder über meine Angewohnheiten aus Ghana stolpere: Ich werfe Klopapier in den nebenstehenden Mülleimer anstatt in die Kloschüssel. Zwiebeln und Tomaten schneide ich in der Luft, sodass das Brettchen beim Kochen nutzlos daneben liegt. Und wenn jemand niest oder sich den Fuß stößt, entschuldige ich mich, auch wenn mich gar keine Schuld trifft.
Neben diesen unbewussten Gewohnheiten erlebe ich aber auch ganz bewusste Irritationen: Ich wundere mich über die leeren Straßen und toten Fassaden. Gleichzeitig fühle ich mich im überfüllten Zug unwohl, weil selbst hier eine unwirkliche Stille herrscht. Und ganz besonders deutlich wird mir diese deutsche Anonymität im öffentlichen Raum immer dann, wenn ich niemandem zu meinem Essen einladen kann.
Eine große Umarmung…
Nach 18 Monaten Abwesenheit muss ich mich immer wieder aktiv erinnern: Wie sehen deutsche Geldscheine aus? Wie grüße ich angemessen? Wann grüße ich? Meine Abwesenheit wird mir zudem an den begrenzten Informationen aus meinem deutschen Umfeld bewusst. Die Zeit stand auch hier nicht still, sodass ich mich erst an menschliche sowie (infra-) strukturelle Veränderungen gewöhnen muss. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ich spüre hier weiterhin das starke Bedürfnis, eine Maske zu tragen – weil es zur Zeit meiner Ausreise nicht ohne ging.
Während die Erinnerungen recht schnell wieder kommen und sich die Informationslücken allmählich schließen, empfinde ich durch die eineinhalb Jahre Abstand aber auch eine gewisse Distanz. In Bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen in Deutschland und die meist unterbewussten Normen und Werte, die unser Zusammenleben hier prägen. Durch meinen kleinen Perspektivwechsel werden mir diese kulturellen Eigenheiten nun bewusst; beispielsweise die allbekannte Tugend, frühzeitig alles durchzuplanen, oder der Hang dazu, alles bis ins kleinste Detail zu besprechen, zu diskutieren, zu analysieren… Und ich bewerte zuvor selbstverständliche Normen mithilfe dieser differenzierteren Sicht für mich neu.
Darüber hinaus lässt sich diese empfundene Distanz auch darauf zurückführen, dass ich mich in den 18 Monaten meines Freiwilligendienstes deutlich verändert habe. Ich konnte mich neu definieren und habe ein spontaneres, sensibleres Ich gewählt. Ich wurde selbstständiger, selbstbewusster und auch mir selbst bewusster.
…und Luftküsschen für alle, die mich in Ghana und Deutschland unterstützen!
Mein Ankommen ist mal erleichternd und mal einsam – und dennoch hoffe ich, dass es ein unaufhörlicher Prozess des Lernens und Erinnerns bleibt. Auch wenn mein Freiwilligendienst stückweise an Greifbarkeit verliert und seine Konturen verschwimmen, so ist er doch weiterhin in mir verinnerlicht. Als eine parallele Perspektive oder als ein fundiertes Interesse an Globaler Gerechtigkeit. Und als ein Anliegen, mich weiterhin in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit zu engagieren.
Mein weltwärts-Freiwilligendienst als Teil der bundespolitischen Agenda für nachhaltiges Lernen und Entwicklung endet jedoch vorerst, und somit findet auch der Blog mit dieser Folge ein Ende. Auch wenn ich immer nur aus einer subjektiven Perspektive schreiben konnte und meine Erfahrungen nicht repräsentativ für Tamale, Ghana oder die Erlebnisse anderer Freiwilliger stehen, so hoffe ich doch, euch einen kleinen Einblick in mein Leben ermöglicht zu haben. Mir hat das Schreiben jedenfalls stets eine große Freude bereitet und ich danke allen, die meine Reise mitverfolgt haben. Euer Interesse und eure Unterstützung waren stets wertvoll und ich hoffe, dass ihr weiterhin offen in die Welt hinausgeht, um zu lernen, zu reflektieren und zu hinterfragen.
Auch wir von der Redaktion JOB & CHANCEN haben die Reise mit Annika sehr gerne begleitet und bedanken uns bei ihr für all die Eindrücke, die sie uns vermittelt hat.
✉ Beitrag per Email versendenSchon seit Monaten stand fest: Mein weltwärts-Freiwilligendienst in Ghana endet am 28. April 2023. Dieses Datum kam unbegreiflich schnell näher, bis es mich schließlich einholte – voller Melancholie wegen dem, was auf jeden Fall geht, und voller Vorfreude auf das, was eventuell oder aber bestimmt kommen mag. Nun hat mich das Datum sogar schon überholt, und ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um auf die letzten Tage meines Freiwilligendienstes zurückzuschauen.
Verabschiedung von meinen Kolleg*innen
In meinen letzten Tagen in Tamale kam so einiges dazwischen: Beispielsweise bereisten wir eineinhalb Wochen vor meinem Abschied verschiedene Jugendgruppen im Norden Ghanas, um mit ihnen über das Programm Power to You(th) zu sprechen. Außerdem endete am 22. April der Fastenmonat Ramadan, und das mehrheitlich muslimische Tamale bot mit Feierlichkeiten rund um das Zuckerfest Eid al-Fitr viel (Folge 22: Islam). Diese Anlässe waren sehr schön, und ich war froh über diese interessanten Einblicke bis ganz zum Schluss meines Freiwilligendienstes; allerdings blieb mir dementsprechend wenig Zeit zum Packen, Backen und für persönliche Verabschiedungen.
Einen sehr netten Abschied in meiner Einsatzstelle Norsaac hatte ich, denn meine Kolleg*innen überraschten mich mit einer Bildcollage und herzlichen Worten. Ich war froh, dass ich bereits zu Beginn des Jahres in weiser Voraussicht kleine Geschenke vorbereitet hatte und mich nun angemessen von meinen engsten Bekannten verabschieden konnte – mit deutschen Süßigkeiten und Fotos von gemeinsamen Erinnerungen. Zur gleichen Zeit wollte ich aber auch Mitbringsel für Deutschland besorgen, Wäsche waschen, mein viel zu schweres Gepäck packen und ab und zu noch einmal innehalten, um die warme, staubige Luft sowie die drohenden Gewitterwolken einzuatmen.
Die letzten ghanaischen Sonnenstrahlen.
Das Anhalten und Durchatmen gelang mir schließlich am 24. April im Nachtbus nach Accra. Mein zweites Zuhause Tamale ließ ich nach über 18 Monaten vorerst hinter mir, die Sommerluft nahm ich für den Übergang aber vorsichtshalber noch einmal mit: Mein Freund und ich wollten die letzten drei Tage meines Freiwilligendienstes gemeinsam in der Hauptstadt verbringen, um uns hier auf die Umstellung vorzubereiten.
Die Tage vergingen im Flug und wir genossen sowohl Sonnenschein wie Regenguss am Pool. Die restliche Zeit verbrachten wir im Verkehr der Großstadt, etwa auf dem Weg zum Zoo, um dort Billard zu spielen, oder auf der Suche nach Jollof-Rice, den wir letztendlich nicht fanden. Doch wie jeder Urlaub neigten sich auch diese schönen Tage viel zu schnell dem Ende zu, und schon befanden wir uns im Stau Richtung Flughafen.
Ausblick auf Katar
Rein räumlich betrachtet sind Ghana und Deutschland nicht allzu weit voneinander entfernt: Nur sechs Flugstunden, direkte Luftlinie. Allerdings gibt es keinen Direktflug zwischen den beiden Ländern, sodass ich einen eintägigen Umweg über das östliche Ende der Arabischen Halbinsel machen musste und zuerst meinen Transit in Doha (Katar) ansteuerte.
Ankunft in Frankfurt am Main
Zu diesem Zeitpunkt wanderten meine Gedanken allerdings noch tief am Boden, sodass ich gar nicht richtig erleichtert sein konnte, es ganz allein bis zum richtigen Flugzeug geschafft zu haben. Oder sicher gelandet zu sein. An einem riesigen Flughafen zwischen Sanddünen und Meer, an dem es dank Zeitverschiebung bereits um zwei Uhr nachts hell ist und der sich ganz allgemein unwirklich anfühlte. Aber das passte ja zu meinen Gedanken, beziehungsweise denen, welche am Boden geblieben waren. Denn selbst wenn die Entfernung zwischen Deutschland und Ghana ein Vierfaches der sechs Stunden beträgt, ist das immer noch viel schneller, als die Gedanken nach eineinhalb Jahren jemals folgen könnten und dementsprechend war ich überrascht, meine Familie am 29. April so unverhofft am Frankfurter Flughafen wieder zutreffen und den Geruch der Wohnung so intensiv zu riechen, wie man ihn sonst nur nach langen Urlauben wahrnehmen kann.
✉ Beitrag per Email versendenGruppenbild mit allen Freiwilligen und bezev-Koordinatorinnen auf unserem Zwischenseminar im Februar.
Vor eineinhalb Jahren erschien mein erster Blog; seitdem konntet ihr in mehr oder weniger regelmäßigen Berichten mehr darüber erfahren, was ich im Rahmen meines Freiwilligendienstes lerne, erlerne und verlerne. Allerdings kann ich nur aus einer sehr subjektiven, begrenzten Perspektive schreiben und dabei unmöglich die Vielfalt meines Gastlandes Ghana einfangen.
Das wurde mal wieder besonders deutlich während des obligatorischen Zwischenseminars im Februar, bei dem ich mehr über die diversen Erlebnisse und Meinungen anderer weltwärts-Freiwilliger lernen durfte: Um auch an dieser Stelle andere als meine Erfahrungen zu berichten, erzählt Anna heute ein bisschen über ihren Freiwilligendienst.
„Ja, also ich bin eine ganz typische Abiturientin“, stellt Anna sich vor. In den letzten Jahren habe sie ihre Zeit hauptsächlich zwischen Schule und ehrenamtlicher Jugendarbeit verbracht. Und dann: „Ich habe das Abi abgeschlossen, noch einen richtig schönen Sommer gehabt und bin dann im September losgefahren.“ Ihr Ziel: Am besten „weit weg“ und mehr über andere Kulturen lernen.
Dabei sei ihr wichtig gewesen, eine kompetente Entsendeorganisation zu finden, denn „wenn ich eine coole Organisation habe, dann können auch alle anderen Sachen – egal wo auf der Welt – cool sein.“ Nun arbeitet sie seit einem halben Jahr in einem Projekt des Vereins Niedersächsischer Bildungsinitiativen e.V. (VNB) mit, welches praxisorientierten IT-Unterricht an öffentlichen ghanaischen Schulen anbietet. Gemeinsam mit Jugendlichen üben sie die grundlegende Nutzung von Hardware und Schreibprogrammen, darüber hinaus aber auch einfaches Coding und Programmieren.
Anna wohnt zusammen mit drei anderen Freiwilligen in Kokrobite, das sie begeistert als „vom Christentum geprägtes vorstadtähnliches Greater Accra“ beschreibt. Hier würde sie einer „unfassbaren Gastfreundschaft“ begegnen und in ihrer Selbstsicherheit wachsen; letzteres würde auch damit zusammenhängen, dass sie innerhalb ihres Freiwilligendienstes unglaublich viel lerne: „Sowohl Sachen, die ich nur hier anwenden kann, aber darüber hinaus auch viel über mich und über meine Person in einem anderen, neuen Zusammenhang.“ Vor allem habe Anna gelernt, dass Ghana als auch Deutschland kompliziert seien, wenn man nicht mit dem System vertraut ist. Daher könne sie auch nicht davon ausgehen, ganz Ghana zu verstehen – inzwischen wisse sie aber immerhin ungefähr, wie sie mit ihrer Gemüseverkäuferin sprechen sollte.
Anna
Auch ihr Blick auf Deutschland habe sich in den sechs Monaten verändert. Bedingt durch ihre persönliche Entwicklung, als auch durch die alltägliche Beschäftigung mit strukturellem Rassismus, könne sie nun viel differenzierter über Diskriminierungsstrukturen in Deutschland reflektieren. Dieses neue Verständnis, inklusive dem „Wissen, wie man auf dieses Thema bezogen lernt“, wolle sie jedenfalls auch ihrem privaten Umfeld nach dem Freiwilligendienst weitervermitteln.
Vor dem Hintergrund globaler Machtgefälle hinterfragt Anna jedoch auch den Sinn ihres eigenen weltwärts-Freiwilligendienstes: Neben dem IT-Unterricht betreibe sie in ihrem Projekt hauptsächlich in den Bereichen Fundraising und Advertisement und merke dabei, „dass alles sehr auf Geldern basiert. Die meiste Zeit der Produktivität geht darauf hinaus, wie man mehr Produktivität schaffen kann, dadurch Gelder (aus dem Globalen Norden) akquiriert und dadurch weitere Freiwillige einstellt.“
Auch ihre Kritik am gesamten weltwärts-Programm sei im Laufe des Freiwilligendienstes gewachsen. Der Freiwilligendienst sei sehr exklusiv durch und für weiße Deutsche designt, was vor allem in Betracht auf die Teilnehmenden deutlich werde: Während Freiwillige aus Deutschland meist eine homogene Gruppe aus weißen Abiturient*innen seien, würde die Süd-Nord-Komponente weiterhin nicht ausreichend Aufmerksamkeit erhalten. (Der sogenannte Süd-Nord-Freiwilligendienst gibt Menschen aus dem Globalen Süden die Möglichkeit, einen Freiwilligendienst in Deutschland zu machen – allerdings beträgt dies weiterhin nur einen geringen Anteil aller weltwärts-Freiwilligen und die Teilnehmenden haben häufig finanzielle und bürokratische Schwierigkeiten.)
Trotz aller Kritik sagt Anna aber auch: „Ich merke, wie viel mir der Freiwilligendienst gebracht hat und ich glaube, mit einer guten Vorbereitung kann es noch vielen anderen Leuten viel mehr bringen.“ Daher wolle sie sich auch nach ihrem Auslandsjahr weiter in ihrer Entsendeorganisation VNB engagieren. Um langfristig einen inklusiveren, gerechteren Freiwilligendienst zu etablieren.
Die Frage nach der Rechtfertigung bestünde zwar weiter – immerhin wird weltwärts zu großen Teilen über Steuergelder der Entwicklungspolitik finanziert und Anna meint: „Natürlich weiß ich, dass ich den Menschen hier nicht viel geben kann.“ Dennoch könne sie sich selbst verbessern, und das sei am Ende sowieso das einzige, was sie der Welt geben könne. „Einfach meinen Horizont zu erweitern.“
✉ Beitrag per Email versendenDas Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) kategorisiert Ghana als einen „Reformpartner“ und bindet seine finanziellen Zusagen an Reformschritte der ghanaischen Regierung. Als einer der wichtigsten „Entwicklungspartner“ des Landes stellte Deutschland erst Ende letzten Jahres weitere 80 Millionen Euro für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu Verfügung – insgesamt verfügt das BMZ über 12 Milliarden Euro, etwa 2,5 Prozent des gesamten Bundeshaushaltes 2023.
Das Programm Power to You(th) beschäftigt sich aktiv mit „Southern Leadership“ – in einem fünftägigen Workshop der „Partnership Brokering Association“ übten wir Zusammenarbeit so zu vermitteln, dass alle Parteien davon profitieren.
Mit diesem Text möchte ich globale Geldflüsse sowie deren Implikationen auf nachhaltige Entwicklung thematisieren. Das große Thema der internationalen Entwicklungszusammenarbeit hat mich in den letzten Monate sehr beschäftigt und dieser Beitrag basiert größtenteils auf meinen Erfahrungen aus dem Programm „Power to You(th)“ (Folge 28).
Power to You(th) begründet sich im sogenannten „Southern Leadership”; das bedeutet, dass Programminterventionen trotz Finanzierung aus dem Globalen Norden innerhalb des ghanaischen Kontextes gedacht und durchgeführt werden. Konkret sieht das so aus, dass ein Konsortium lokaler Organisationen Power to You(th) koordiniert und alle Aktionen kontextgebunden selbst entwirft, kalkuliert und auswertet.
In dem Artikel „The journey to Southern leadership in programming” erzählt der Vorsitzende dieses Konsortiums allerdings von der Erfahrung, nur auf dem Papier gleichberechtigt zu sein: „Although Northern CSOs [Civil Society Organisations] generally use a vocabulary that shows an intention to work in an equitable way, daily practice in international programming often demonstrates power differences between CSOs from the Global South and those from the Global North.” Obwohl er hierbei nicht explizit über Power to You(th) spricht, weist auch dieses Programm Elemente der Ungleichheit auf: Ganz zentral ist hierbei die einseitige Abhängigkeit der Süd-Partner vom Fördergeld aus Europa. Diese Abhängigkeit macht sie unautonom und unflexibel, Programminterventionen bleiben kurzfristig. Finale Entscheidungen werden weiterhin meist im Globalen Norden getroffen und die Süd-Partner richten ihre Konzepte und Berichte häufig schon im Vorhinein mehr auf den Geldgeber als den eigentlichen landesspezifischen Kontext aus. Sehr eindrücklich wird das an dem Beispiel, dass Power to You(th) Menschen diverser Geschlechtsidentitäten direkt adressieren soll – der gesellschaftliche und politische Kontext in Ghana dies aber ausdrücklich nicht befürwortet.
Die Begrifflichkeit Globaler Norden und Globaler Süden sind hierbei weniger geografische Bezeichnungen, als vielmehr Begriffe der Entwicklungspolitik. Sie beschreiben globale Machtgefälle und gegenseitige Abhängigkeiten zwischen politisch sowie sozial-ökonomisch privilegierten Staaten des Globalen Nordens und strukturell benachteiligten Ländern des Globalen Südens. Diese globalen Machtstrukturen sind meist ein spätes Erbe imperialistischer Ausbeutung und anhaltender neo-kolonialer Strukturen. Insbesondere auf dem Weltmarkt und in der internationalen Politik haben Länder des Globalen Südens weiterhin nur wenig echtes Gewicht.
Als Land des Globalen Südens befindet sich Ghana meist auf der empfangenden Seite internationaler Geldflüsse; zwischen 2016 und 2018 betrug der Anteil internationaler Zuschüsse und Darlehen etwa 5,7 Prozent aller Haushaltsausgaben. Die ghanaische Regierung bezeichnete diesen Beitrag als „significant“ und antwortete 2019 mit der Charter „Ghana beyond Aid“: „We can, and should, build […] a Ghana that is beyond dependence on the charity of others to cater for the needs of its people, but instead engages with other countries competitively.”
Bereits seit 2010 ist Ghana als ein Land mittleren Einkommens eingestuft. Diese Kategorisierung entscheidet über die Art an Geldflüssen in das Land und Ghana verlagert sich für viele Länder des Globalen Nordens zunehmend zu einem Handels- und Investitionspartner – beziehungsweise im Bezug auf das BMZ zu einem „Reformpartner“, der im Gegenzug zu niedrigen Krediten gewisse Auflagen erfüllen muss. Allerdings reflektiert dieser „middle income“-Status nicht ganz Ghana und das Land befindet sich im Dilemma, humanitäre Lücken insbesondere im Norden des Landes (noch) nicht ohne finanzielle Unterstützung schließen zu können.
Als obligatorischer Teil des weltwärts-Programms beschäftigen wir uns während des Zwischenseminars mit (deutscher) Entwicklungszusammenarbeit und unserer Rolle als Nord-Süd-Freiwillige.
Dementsprechend gibt es weiterhin zahlreiche entwicklungspolitische Projekte im Land, unter anderem das deutsche weltwärts-Programm: Hier lernen junge Menschen in einem interkulturellen Kontext mehr über sich selbst, das Leben in anderen Kulturen und über globale Machtgefälle. Zum zehnjährigen Jubiläum drückte weltwärts den Wunsch aus, „dass die Teilnehmenden verändert aus ihrem Einsatz zurückkehren: offener, sensibler, nachdenklicher und ausdrücklich auch kritischer.“ Dies verstärke das Potential für positiven gesellschaftlichen Wandel – mit einem verantwortungsbewusstem Globalen Norden.
Allerdings gibt es am weltwärts-Programm die berechtigte Kritik, dass nur ein Bruchteil der Teilnehmenden aus dem Globalen Süden kommt; die sogenannte Süd-Nord-Komponente des weltwärts-Programms ermöglicht es jungen Menschen im Globalen Süden, einen Freiwilligendienst in Deutschland zu machen. Allerdings ist auch dieses Projekt von Fördermitteln aus dem Globalen Norden abhängig und die wenigen Süd-Nord-Freiwilligen begegnen oft finanziellen und bürokratischen Hürden.
Entsprechend der entwicklungspolitischen Agenda dient der weltwärts-Freiwillgendienst dem Lernen und der (Selbst-) Reflektion.
Innerhalb der internationalen Entwicklungszusammenarbeit bestehen daher sowohl auf der politischen Ebene als auch der Ebene der Organisationen weiterhin so große globale Ungleichheiten, dass der Globale Süden meist am wenigsten profitiert. Gleichzeitig sind Süd-Partner oft so auf die finanzielle Unterstützung angewiesen, dass sie ihre Abhängigkeit leise ertragen müssen.
Meiner Meinung nach sind entwicklungspolitische Akteure des Globalen Nordens damit umso mehr in der Verantwortung, diese Machtstrukturen ehrlich zu hinterfragen. Das bedeutet, Süd-Partner als gleichberechtigt anzuerkennen und bereit zu sein, von deren Erfahrungen und Expertisen zu lernen. Und es bedeutet, entwicklungspolitische Gelder nicht an inhaltliche Auflagen zu knüpfen, sondern die Koordination komplett dem Süd-Partner zu überlassen. Wirtschaftspolitisch bedeutet es, Länder des Globalen Südens darin zu unterstützen, ihre eigene Rohstoffverarbeitung aufzubauen und Produkte auf den Weltmarkt zu exportieren.
✉ Beitrag per Email versendenDer transatlantische Sklav*innenhandel erlangte grausame Berühmtheit: Über drei Jahrhunderte hinweg etablierten europäische Kolonialmächte ein profitorientiertes System des Menschenhandels. Im sogenannten Dreieckshandel versklavten sie Menschen an der Küste Westafrikas und verschifften sie nach Amerika, um dort preisgünstig landwirtschaftliche Erzeugnisse für den europäischen Import zu erwirtschaften.
Dieses Verbrechen an der Menschheit wird in Ghana nach und nach aufgearbeitet (siehe Folge 18: Transatlantischer Sklav*innenhandel). Wesentlich weniger internationale Aufmerksamkeit erfährt jedoch die Frage: Welchen Einfluss hatte der Kolonialismus auf den innerafrikanischen Sklav*innenhandel?
Bis heute sind Spuren des „Pikworo Slavecamp“ in Nordghana sichtbar, wie diese Ausstellung in Bolgatanga erklärt.
Innerafrikanischer Sklav*innenhandel
Bereits vor der Ankunft europäischer Kolonialmächte existierte Sklaverei auf dem afrikanischen Kontinent: Vor dem Hintergrund lokalpolitischer Konflikte wurden Kriegsgefangene genommen, oder die siegreiche Partei forderte menschliche Tribute ein. Aber auch innerhalb einer ethnischen Gruppe konnten Menschen in Form von Verpfändung oder als Schuldenabgleich versklavt werden. Es ist davon auszugehen, dass Sklav*innen grundlegende Rechte besaßen und sich freikaufen konnten.
Nach ihrer Ankunft an der Küste Westafrikas nutzten europäische Kolonialmächte den bestehenden inländischen Menschenhandel, um ein profitables koexistierendes System zu etablieren: Sie tauschten importierte Luxusgüter wie Waffen oder Alkohol gegen versklavte Menschen aus dem Landesinneren. Diesen Handel traten sie mit ethnischen Gruppen wie der Fante ein, welche direkt an der Küste lebten, und somit lag der überwiegende Teil des westafrikanischen Sklav*innenhandels weiterhin in lokaler Hand.
Aus dieser Gegebenheit leiten wohl einige Menschen ab, Afrika träfe eine gewisse Mitschuld an der systematischen De-humanisierung des transatlantischen Sklav*innenhandels. Diese Annahme folgt allerdings einem rassistischen beziehungsweise neo-kolonialen Narrativ, dem ich an dieser Stelle widersprechen möchte: Die Geschichte des Kolonialismus ist immer zugleich auch eine Erzählung über verlorene Autonomie; nichts kann die europäischen Eingriffe in die Souveränität afrikanischer Gesellschaften rechtfertigen. Die Kolonialmächte intensivierten durch gezielten politischen Einfluss und Waffenlieferungen bestehende Konflikte und katalysierten somit den innerafrikanischen Menschenhandel. Alleine sie bedingten die Etablierung eines Systems inhumanster Entwürdigung – und profitierten davon am meisten.
Kurz vor Salaga war es den versklavten Menschen erlaubt, zu baden und ihre Wunden mit Sheabutter zu behandeln. So konnten sie auf dem Marktplatz zu höheren Preisen verkauft werden.
Der weite Weg
Der von den Kolonialmächten angetriebene Menschenhandel fand seine Anfänge weit im Landesinneren: Zahlreiche Orte zeugen noch heute von den beschwerlichen Märschen durch meist unbelebtes Land, zu denen versklavte Menschen aus dem heutigen Togo, Nigeria und sogar Mali gezwungen wurden. Das „Pikworo Slavecamp“ nahe der Grenze Burkina Fasos diente beispielsweise als Ess- und Trinkstätte, und nur zwei Stunden südlich von Tamale befindet sich einer der einst geschäftigsten Sklav*innenmärkte Westafrikas: Salaga, der Schnittpunkt zweier Haupthandelsrouten. Hier wurden die Gefangenen zunächst mit dem Nötigsten versorgt, um dann auf dem Marktplatz möglichst profitabel an Menschenhändler aus dem Süden verkauft zu werden.
Am Ende dieser langen, im höchsten Maße organisierten Handelskette standen die europäischen Kolonialmächte. Nähere Details des transatlantischen Sklav*innenhandels lassen sich in der interaktiven Datenbank SlaveVoyages.org nachvollziehen.
Deutsche Kolonialgeschichte
Auch wenn europäische Kolonialmächte bereits seit dem 15. Jahrhundert an der Küste Westafrikas Handel betrieben, drangen sie erst im Zuge der zunehmend imperialistischen Außenpolitik des 19. Jahrhunderts weiter ins Inland vor. Dieser sogenannte „Scramble for Africa“ begann offiziell mit der Berliner Konferenz im Jahr 1884; hier sicherte der damalige Reichskanzler Otto von Bismarck eine deutsche Kolonie im heutigen Togo, welche auch weite Teile Nord- und Ostghanas umfasste.
1957 erlangte Ghana als erstes afrikanische Land der Sub-Sahara seine Unabhängigkeit.
Erinnerungen dieser deutschen sogenannten „Musterkolonie“ sind bis heute sehr präsent: Beispielsweise gründete die Norddeutsche Missionsgesellschaft hier die „Presbyterian Church“, um den christlichen Glauben sowie westliche Werte zu vermitteln. Doch nicht nur Missionare und Händler waren in dem „Schutzgebiet Togo“ präsent, selbst das deutsche Militär erlangte durch seine zahlreichen Kriege traurige Berühmtheit. Auch die Dagomba (Folge 27) unterlagen nach sieben Jahren erfolgreichem Widerstand schließlich den modernen deutschen Waffen: Sie verloren am 4. Dezember 1896 auf dem „Battlefield of Adibo“ und mussten ihre Häuser aufgeben, um sich vor den Feuerlegungen der Schutztruppe zu schützen.
1914 verlor Deutschland seine Kolonien gegen andere europäische Kolonialmächte; im Zuge des Versailler Vertrags (1919) teilten Frankreich und Großbritannien das ehemalige „Deutsch-Westafrika“ zwischen sich auf.
Heute sind nur wenige Details der (deutschen) Kolonialgeschichte veröffentlicht und das sozioökonomisch schwächere Nordghana ist kaum an den Aufarbeitungen beteiligt. Entsprechend dürftig ist auch die Quellenlage. Für mich ist es daher ein Privileg – und eine Verantwortung – diese Orte europäischer und deutscher Geschichtsschreibung nachverfolgen zu können. Denn auch wenn die Verbrechen in dieser Form einmalig waren, existieren neo-koloniale Machtstrukturen sowie moderne Sklaverei auch heute noch.
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