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Ein FSJ in Ghana Folge 20: Verlängerung

Tamale im Abendlicht, wenn die Fledermäuse ausschwärmen

Jetzt ist es offiziell: Ich bleibe länger!

Vergangene Woche hat weltwärts meinen Verlängerungsantrag bestätigt – dem ging allerdings ein langer Prozess und noch längere Gedankengänge voraus. Mit diesem Beitrag möchte ich euch so transparent und ehrlich wie möglich in meine Entscheidungsfindung mitnehmen.

Verlängerungsantrag

Erst einmal von vorne: Mit weltwärts können junge Menschen für sechs Monate bis zu zwei Jahren einen Freiwilligendienst in einem Land des Globalen Südens machen. Ursprünglich war geplant, dass ich bis August in meiner Einsatzstelle Norsaac assistiere – und tatsächlich habe ich das erste Mal ernsthafter über eine Verlängerung nachgedacht, als ich mein Rückflugticket in der Hand hatte: Ausreise am 29. August.

In diesem Moment bedauerte ich vor allem, wie nahe August schon war. Und ich begann, dieses Bedauern in Worte zu fassen: Ich tauschte mich mit anderen Freiwilligen in Ghana aus, die meine Situation wohl am besten verstehen und teilweise vor der gleichen Entscheidung standen. Ich diskutierte beim Zwischenseminar mit meiner Entsendeorganisation. Und ich suchte die bereichernde und gleichzeitig herausfordernde Kommunikation nach Deutschland.

Nach ein bisschen Hin und Her entschied ich mich dann am 14. März erstaunlich eindeutig für das Hin und eine Verlängerung auf eineinhalb Jahre bis Mitte April 2023.

Rückkehr

Am Anfang meiner Gedanken stand immer die Frage „Was bedeutet Rückkehr?“

Die Kommunikation mit Zuhause ist nicht immer einfach.

Rückkehr bedeutet vor allem erst einmal, meine Familie wiederzusehen, meine Freund*innen, all die Menschen, mit denen ich für lange nur online kommunizieren konnte. Zudem all die Dinge wieder zu machen, die ich vermisse: auf Konzerte gehen, im Park sitzen, Kuchen backen und essen, Gitarre spielen…

Zwischen dem ganzen Wiedersehen und Wieder-Machen, beziehungsweise durch die Rückkehr in die deutsche Gesellschaft, rechne ich allerdings auch mit einem gewissen Kulturschock. Denn je länger ich bleibe, desto mehr lebe ich mich hier in (Nord-) Ghana ein. Je mehr ich mich einlebe, desto stärker prägt und verändert mich der Freiwilligendienst. Und je mehr ich mich verändere, desto seltsamer wird es, in mein altes Umfeld zurückzukehren.

Zurück in Deutschland werde ich wahrscheinlich umziehen, studieren, mich engagieren. Das heißt einerseits, dass ich einen weiteren Lebensabschnitt mit neuen Erfahrungen beginnen kann. Andererseits ist verschoben nicht aufgehoben, weshalb ich diesbezüglich kein Gefühl von Zeitdruck verspüre.

Bleiben

Als ich das Flugticket sah, fühlte ich eine Art Zeitdruck; ich möchte noch unglaublich viel sehen und lernen und gleichzeitig meinen Alltag hier weiterführen. Alltag bedeutet mehr als meine tägliche Routine, er ist auch das Gefühl, in Tamale zu wohnen, zu leben und Teil zu sein. Sowohl die Routine als auch das Lebensgefühl enden, sobald ich abreise, und werden in dieser Weise auch sicherlich nie wieder eintreten. Kurz gesagt: Mir wurde bewusst, dass meine Erfahrungen hier auf Zeit sind.

Gleichzeitig ist mir aber auch bewusst, dass es früher oder später Zeit für Abschied sein wird. Das wurde somit zu meiner Kernfrage: Zögere ich mit einem Verlängerungsantrag nur den Abschied und eine Entscheidung über meinen weiteren Lebensweg hinaus? Oder warum möchte ich eigentlich bleiben?

Die Antwort darauf ist vielseitig und beginnt mit meiner Dankbarkeit gegenüber der Wärme und Offenheit, die mich täglich begleiten. Ich schätze meine Freundschaften, die beiläufigen Witze und grundlegenden Gespräche, die vielen kleinen schönen Gesten.

Frische Kokosnuss: zuerst trinkt man das Wasser aus einer kleinen Öffnung oben, anschließend kann man das Fruchtfeisch aus der aufgeschlagenen Nuss löffeln.

Ich möchte auch bleiben wegen ganz banaler Dinge: Da sind die frisch gepflückten Mangos, frittierte Kochbananen und Sachet-Water (Wasser aus der Tüte). Das ist der warme Fahrtwind, wenn ich hinten auf dem Motorrad sitze und hinter mir die Sonne untergeht. Und in dieser Hinsicht muss ich wohl auch einfach zugeben, dass ich das ghanaische Klima dem deutschen Winter vorziehe.
Darüber hinaus habe ich allerdings auch nachhaltigere Gründe zum Bleiben, allen voran das tägliche Lernen. Das war zu Beginn des Freiwilligendienstes natürlich viel spektakulärer und offensichtlicher als in meinem routinierten Alltag. Mir wurde jedoch auch bewusst, dass ich insbesondere durch diese Routine noch viel tiefergreifendere Erfahrungen machen kann: Eine Verlängerung erfordert, dass ich mich noch mehr auf mein Leben hier einlasse, dass ich Herausforderungen nicht verdränge, sondern Initiative ergreife und dass ich mich viel mehr selbst motivieren muss.

Schon im vergangenen halben Jahr habe ich zudem einige Veränderungen an mir persönlich bemerkt: Ich wurde entspannter, insbesondere gegenüber mir selbst. Ich übe, mit weniger Erwartungen an eine Situation heranzugehen und lerne dadurch, andere Perspektiven nachzuvollziehen und zu verstehen. Und schließlich bin ich hier häufiger darauf angewiesen, meine Interessen eindeutig zu kommunizieren. Indem ich bleibe, setzt ich mich demnach weiterhin Situationen aus, die mich positiv beeinflussen.

Mein Bauch hatte die Entscheidung zur Verlängerung schon lange gefällt. Es fiel mir allerdings lange schwer, diese Überlegungen in Worte zu fassen und auch rational zu erklären. Ich bin dankbar, dass mir so viele Menschen in diesem Prozess geholfen haben – und mir gleichzeitig ermöglichten, eine eigene Entscheidung unabhängig von Anderen zu fällen. Außerdem hoffe ich, euch mit dieser sehr persönlichen Einsicht heute in den Prozess mitnehmen zu können.

Alles in allem ist der Freiwilligendienst ein großes Privileg und ich bin jetzt gespannt, was noch kommt!

Meine Partner:    weltwärts      bezev e.V.     Norsaac

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Ein FSJ in Ghana Folge 19: Reise durch den Osten

Der Strand in Accra.

Bei meiner Abreise meinte Sarah noch: „Ich komme dich besuchen, ich habe da wirklich Lust drauf!“ Gute acht Monate später warten wir gemeinsam auf ihren Bus zurück zum Flughafen, während ich an meinem Bericht über die letzten drei reise-gefüllten Wochen arbeite.

 

 

Unsere Tour

01.06. – 02.06.: Nachtfahrt von Tamale nach Accra
02.06. – 06.06.: Aufenthalt in Accra, beziehungsweise dem Vorort Akramaman
06.06. – 08.06.: Koforidua und Umgebung
08.06. – 09.06.: Volta-Brücke und -Damm bei Atimpoku
09.06. – 13.06.: Besuch bei und Ausflüge mit meinem Mitfreiwilligen David in Vakpo
13.06. – 14.06.: Fahrt nach Hohoe und Tour zu den Wli Falls
14.06. – 16.06.: Rückfahrt nach Tamale über Nkwanta und Yendi
16.06. – 21.06.: Aufenthalt in Tamale

Von Beginn an…

Sarah und ich machen uns startklar.

… lief nicht alles nach Plan. Das fing schon damit an, dass Sarahs Visum eine knappe Woche vor Abreise eintraf. Ihre Abreise widerum verschob sich kurzfristig um einen Tag nach hinten, da ihr eigentlicher Flug gecancellt wurde. Und für unsere Reise hatten wir auch eher eine grobe Route als einen wirklichen Plan.

Umso unwirklicher und schöner erschien es uns dann auch, plötzlich nach dem Motto „du, ich, hier“ voreinander zu stehen.

Stadt

Accra ist Zuhause für zweieinhalb Millionen Menschen, politisches und wirtschaftliches Zentrum Ghanas und Möglichkeit für (inter-) nationalen Austausch sowie kulturelle Vielfalt. Ich konnte in diese Aspekte bisher leider eher wenig eintauchen, für mich wirkt die Metropole hauptsächlich groß, schnell und oberflächlich.

Ein bisschen abgeschreckt davon wohnten Sarah und ich eine gute Stunde vom Zentrum entfernt bei Bekannten. Da wir auch nicht wirklich Glück mit dem Wetter hatten, besuchten wir die Innenstadt tatsächlich auch nur ein einziges Mal richtig – den Strand wollten wir uns allerdings nicht entgehen lassen, genauso wenig wie Accra bei Nacht.

Nach ein paar Tagen akklimatisieren und ankommen brachen wir dann in den zweiten, wesentlich naturlastigeren Teil unserer Reise auf: auf nach Koforidua! In der regionalen Hauptstadt der Eastern Region liefen wir zwar auch eher planlos und snack-essend durch die Straßen, standen aber plötzlich auf einem Hügel inmitten Schmetterlingen, Palmen und Stille mit Blick über die grüne Stadt.

Land

Angespornt von diesem unerwarteten Ausblick besuchten wir gleich am folgenden Tag die Boti und Akaa Falls beziehungsweise den Umbrella Rock. Da wir unter der Woche unterwegs waren, konnten wir beinahe alleine die ruhige Atmosphäre genießen, welche lediglich vom lauten Wasserplätschern und Vogelgesang durchbrochen wurde.

Die Brücke bei Atimpoku über den dunklen Volta.

Enige Stunden weiter nord-östlich blickten wir dann das erste Mal auf den Volta, den größten Stausee der Welt. Nachts lag er wie ein schwarzes Loch unter uns, während wir auf der beleuchteten (und einzigen) Brücke über den Volta standen. Am nächsten Tag erstaunte mich der Anblick vom palmengesäumten Ufer in der ansonsten tirol-ähnlichen Landschaft.

Je weiter wir unseren Weg zwischen Volta und der Grenze zu Togo in Richtung Norden fortsetzten, desto mehr wuchsen die anfänglichen Hügel zu Bergen heran, desto satter färbte sich das Grün und desto zersiedelter präsentierten sich Dörfer und Städte. Während unseres Zwischenstopps bei David stiegen wir auf einen kleinen Berg in der Nähe – oben angekommen, packten wir den Schokokuchen aus, während ich versuchte, mir das Panorama und Atmosphäre so gut wie möglich einzuprägen.

Unsere Tour begann mit dem Aufstieg zu diesem Ausblick.

Sowohl die Landschaft, als auch wir schienen uns auf das Highlight der Volta Region vorzubereiten: die Wli Waterfalls, mit 80 Metern die höchsten Wasserfälle Westafrikas. In einer über fünfstündigen Tour erklommen wir zunächst die Gipfel, von denen wir eine atemberaubende Sicht hatten: Grüne, weiche Hügel walzten sich über die Ebene, darunter auch der höchste Berg Ghanas Afadjato. Wir folgten der Gipfelkante weiter nach Togo und schließlich zu den Upper Falls, welche die kantige Felswand entlangstürzten. Um diese Stelle herum war alles wesentlich bewachsener, feuchter und dunkler – nur manchmal konnten wir durch einen Rahmen aus Farnen, Lianen und Baumwipfeln die Felshänge erblicken. Der Weg zu den Lower Falls erforderte meine gesamte Konzentration, sodass ich zwischenzeitlich meine Umgebung ganz vergaß. Bei den Lower Falls angekommen durften wir im gewitterschweren Dämmerlicht miterleben, wie die Fledermäuse atmosphärvoll ausschwärmten.

Stadt

Zurück in Tamale versuchte ich, Sarah so gut wie möglich in mein Leben mitzunehmen: Sie wohnte bei mir zuhause, lernte meine engsten Freund*innen kennen, wir besuchten die Hochzeit meiner Kollegin und die Kirche. Auch zu meinem ersten Arbeitstag begleitete sie mich.

Fazit

Gefühlt verbrachten Sarah und ich den Hauptteil unserer Reise unterwegs, immer nordwärts entlang des Voltas. Durch unser etappenweises Weiterkommen konnten wir gut die schleichenden Veränderungen mitverfolgen, die Stadtbilder, Landschaft sowie Atmosphäre ergriffen.

Die Kulisse rund um die Wli Falls erschien mir zeitweise so unwirklich, dass ich mich eher wie eine außenstehende Betrachterin Caspar David Friedrichs Gemälde „Kreidefelsen auf Rügen“ fühlte.

Während wir bewusst langsam reisten, wurden mir erneut die Unterschiedlichkeit Ghanas bewusst – und wie viel ich erleben, sehen und lernen kann. Selbst zurück im flachen und trockenen Tamale habe ich noch das Bild der stillen Hügel vor mir und allein daran, dass Essen in diesem Blogeintrag so gut wie keine Rolle spielt, wird sichtbar, wir mich die Natur überwältigt hat.

Ich habe mich unglaublich gefreut, gemeinsam mit Sarah mein Gastland ein Stückchen weiter zu verstehen und ihr meinen Alltag hier zu zeigen. Ihr Besuch hat mir auch bewusst gemacht, wie viel ich bereits gelernt habe und darüber hinaus manchmal vergesse, wie unterschiedlich meine Leben in Ghana und Deutschland doch sind. Der Austausch mit ihrem „frischen Blick“ war jedenfalls sehr hilfreich und ich bin sicher, sie wird anders herum das Gleiche behaupten.

Meine Partner:    weltwärts      bezev e.V.     Norsaac

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Ein FSJ in Ghana Folge 18: Transatlantischer Sklav*innenhandel

Mein erster Blick auf das Cape Coast Castle.

Den heutigen Beitrag habe ich ein wenig vor mir hergeschoben – das Thema ist zu groß, um angemessene Worte auszuwählen, das Thema ist so groß, dass es schon viel professioneller einzufangen versucht wurde. Allerdings wäre es genauso unpassend, das bis heute präsente und meinen Freiwilligendienst durchaus charakterisierende Thema „Kolonialismus“ ganz außen vor zu lassen.

In diesem Beitrag versuche ich deshalb, nach bestem Wissen und Gewissen mögliche Fenster zur tieferen Beschäftigung für mich und euch zu öffnen. Dabei spreche ich allerdings als Laie, als Nicht-Betroffene, als Verantwortliche. Ich spreche als Person, die das erste Mal im Cape Coast Castle wortwörtlich in Berührung mit dem Thema „Kolonialismus“ kam.

Cape Coast Castle

In Cape Coast gibt es neben dem Castle für Verwaltung und Handel auch noch viele weitere Spuren der Kolonialisierung, wie dieses ältere Gebäude zeigt.

Das Fort diente seit Errichtung als Handelsstützpunkt europäischer Länder und trug im 17. Jahrhundert unter anderem die schwedische, die niederländische und die dänische Flagge, bis sich ab 1665 Großbritannien behauptete. Der Handel beschränkte sich mit der Zeit allerdings zunehmend weniger auf Rohstoffe, die Kolonialmacht koordinierte und praktisierte im Cape Coast Castle die Versklavung von Menschen.

Die Festung kann dabei als eigene Stadt beschrieben werden und diente den Besatzenden als Verwaltungsgebäude und als Unterkunft mitsamt luftigen Schlafräumen, eigener Kantine und katholischer Kirche. Das Castle stand offen für Händler, die zwischen den gelben Wänden der Palaver Hall Menschen kauften.

Die transatlatischen Schiffe konnten aufgrund ihrer Größe nicht direkt an der felsigen Küste anlegen. Die Gefangenen wurden daher aneinandergekettet erst einmal in kleinere Boote gebracht, wie eine Zeichnung im Museum zeigt.

Die verkauften und nummerierten Sklav*innen wurden anschließend in das Gefängnis geführt. Dafür mussten sie hinunter, unter die weißen Verwaltungsgebäude, runter in den Felsen und in dunkle, feuchte, heiße Erde. Die wenigen Fenster hoch oben in der Wand sind eigentlich zu klein, als dass dadurch Tageslicht, etwas Regen oder auch nur frische Luft eindringen kann. Durch ein anderes Loch in der Decke riefen die britischen Soldaten Befehle in einer fremden Sprache oder warfen Essen auf die Gefangenen. An die damals knöchelhohe Masse an Urin, Fäkalien, Blut, Schweiß, Tränen und Erbrochenem erinnert heute nur noch ein Quadratmeter grauer Bodenbelag, welcher bei den Renovierungsarbeiten erhalten wurde. Die bis zu 1.500 Menschen warteten bis zu drei Monate auf die Verschiffung oder auf den Tod. Es gab nur drei Wege aus den Zellen: Weibliche Gefangene wurden in den Räumen der Besatzer vergewaltigt, aufständige Gefangene in der Execution Cell außnahmlos ermordet. Der dritte Weg führte durch die „Door of no Return“ zu den großen Transportschiffen, wo sie zum ersten Mal seit langem wieder Tageslicht und Meer erblickten, nur um auf die großen Überseeschiffe geladen zu werden – wer sich entschloss zu springen, zog alle angeketteten Personen mit in die Wellen.

Fort São Jorge da Mina

Das schwarz-weiße Elmina Castle vor blauem Himmel und türkisenem Ozean.

Nur wenige Kilometer weiter westlich thront das Elmina Castle und ist in jeglicher Hinsicht ein Superlativ: Von Portugal 1482 errichtet ist die Festung nicht nur das erste Fort in Ghana, sondern auch das älteste europäische Gebäude in Westafrika. Von dem größten Fort Ghanas verschifften die portugiesischen, niederländischen und britischen Kolonialmächte zahllose versklavte Menschen nach Amerika zur Plantagenarbeit oder nach Indonesien, um das niederländische Militär zu unterstützen.

Der größte Superlativ für mich persönlich war allerdings die überpräsente Doppelmoral auf dem unaushaltbar schönen Elmina Castle: Die Burg erhebt sich in paradisischer Kulisse direkt an der palmengesäumten Küste über eine Fischereistadt. Alles glänzt weiß wie Schnee und schwarz wie Ebenholz, nur das Blutrot ist eben nicht sichtbar. Hoch oben sind erneut die Räumlichkeiten der Kolonialherren platziert – allein das Schlafzimmer größer als eine Gefängniszelle für hunderte Personen. Auch die Kirche befand sich über den Köpfen der Gefangenen, welche somit zu Zeug*innen des Kirchengesangs und der Predigten über Nächstenliebe wurden.

Die Kirche im Innenhof beherbergt heute eine kleine Ausstellung.

Das alles macht mir deutlich, dass es sich beim transatlantischen Sklav*innenhandel neben der grausamsten ökonomischen Objektifizierung zusätzlich um eine systematische, bewusste Entwürdigung von Menschen handelt. Im Jahr 2022, also drei Jahrhunderte später, lassen sich die hier begangenen Verbrechen nur noch erahnen – aber schon diese Ahnung erzeugte bei mir Gefühle der Beklemmung, Ohnmacht, Schuld.

Der weitere Weg

Die Sklav*innenburgen in Cape Coast und Elmina sind nur zwei der 32 Forts, die heute noch bestehen und inzwischen zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen. Ghana hatte somit die höchste Dichte an europäischen Festungen entlang der afrikanischen Küste. Schätzungen zufolge brachten die Kolonialmächte zwischen sechs und zehn Millionen Menschen noch bis ins 19. Jahrhundert von Westafrika nach Amerika.

Der Weg der Sklav*innen begann, noch endete er in den Forts. Meine Besuche im Cape Coast und Elmina Castle nehme ich allerdings als Anlass, mich tiefer mit der Kolonialgeschichte Ghanas zu beschäftigen. Und somit auch mit einem essentiellen Teil europäischer und ja, auch deutscher, Geschichte.

Meine Partner:    weltwärts      bezev e.V.     Norsaac

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Ein FSJ in Ghana Folge 17: Christentum

Während der Yam vor Ort frittiert wurde, spielten wir Karten und bedienten uns schon einmal am Reis.

Die große Mehrheit in Ghana glaubt christlich (71,3 %), knapp ein Fünftel ist muslimisch und weitere 3,2 % leben den traditionellen Glauben. Das ergab der Zensus für 2021. Betonen möchte ich dabei aber vor allem, dass der Anteil an Atheist*innen verschwindend gering ist – beziehungsweise, dass Religion viel offen(sichtlich)er als in Deutschland gelebt wird.

Christliche Feiertage

Erst einmal zu den Gemeinsamkeiten zwischen Ghana und Deutschland: Auch hier sind Weihnachten und Ostern nationale Feiertage, die überwiegend mit viel Essen und viel Familie verbracht werden. Über Weihnachten und Silvester habe ich ja schon einmal in früheren Beiträgen berichtet, zu Ostern möchte ich gerne noch einen kleinen Nachtrag schreiben.

Am Ostermontag finden hier in Tamale immer öffentliche Picknicks statt, die von mehreren Kirchen organisiert und von Menschen aller Glaubensrichtungen besucht werden. Auch meine Gastfamilie und ich gingen daher zusammen in den Park, im Gepäck Unmengen an Essen. Neben Essen, Tanz- und Theateraufführungen war die Hauptattraktion, herumzulaufen und dabei Bekannten zu treffen. Dabei genossen alle die sorglose und offene Atmosphäre, die aufgrund der Familien auf Picknick-Decken einerseits an Freibad, und andererseits an ein Festival mit Essensständen und Werbeartikeln erinnerte.

Anlässlich christlicher Feiertage gibt es natürlich auch besonders feierliche Gottesdienste. Am Karfreitag war der Dresscode schwarz, am Ostersonntag hingegen trugen alle weiß – alle bis auf meine Gastgeschwister, die haben es exakt anders herum gemacht.

Religion im Alltag

Schickmachen und Posen gehört für viele fest zum Kirchenprogramm – ich übe noch.

Auch unabhängig der Feiertage versuche ich, meiner Gastfamilie mehr oder weniger regelmäßig zur Kirche folgen. Da es sich um einen katholischen Gottesdienst handelt, ist die Liturgie vergleichbar zu Deutschland.

Ungleich zu Deutschland gibt es in Ghana jedoch neben dem Katholizismus eine Vielzahl anderer christlicher Kirchen, darunter zum Beispiel die methodistische, anglikanische, presbyterianische, baptistische und so weiter. Meine Kollegin und Freundin Nancy ist eine sehr engagierte Charismatikerin, für die verglichen mit mir Religion im Alltag eine bedeutend größere Rolle spielt. Aus unseren regelmäßgen Gesprächen erhalte ich den Eindruck, dass sie sich über ihren Glauben identifiziert. Die Bibel bietet ihr Grundlage und Referenz, die persönlichen Beziehung mit Gott eine tägliche Aufgabe.

Über sich selbst erzählt sie:

„I was a stount Catholic, I attended Catholic Church since I was about ten years. […] I loved the Catholic Church, it is my foundation.” Sie habe jeden Gottestdienst besucht, zudem im Chor gesungen und neben der Schule immer Zeit zum Beten gefunden. Mit 28 Jahren habe sie die Katholische Kirche jedoch verlassen: “And so, right from the Catholic Church, I moved to a Charismatic Church. I’m not judging the Catholic Church. But one of the things that made me leave the Catholic Church was that […] I was getting to a point, where I wanted to understand what I’m doing more, and better, I wanted to know who I am, when I call myself a Christian. I searched through the Catholic Church and I wasn’t getting a place or a group that I could align myself to and be able to study the Bible with very well.”

Nancy beim Beten

Stattdessen schloss sie sich der Charismatischen Kirche an, was sie in ihrem Glauben und Verständnis vom Christentum weiterbrachte: „The only place in the Catholic Church, was the Catholic Charismatic group. It helps you to learn a lot of things just like I’m doing now. So then, you have a blend of being a traditional Catholic, and also being like I am right now a Charismatic person.”

In dem Versuch, eine persönliche Beziehung mit Gott aufzubauen, betet Nancy täglich, fastet regelmäßig und geht mindestens drei Mal wöchentlich zur Kirche. Kirche sei notwendig, um die eigene christliche Identität zu finden: „There are so many things embedded in the Bible that in church we are being taught, you understand. So it’s a whole school on its own, a school that teaches how to do things the Christian way.”

Zukünftig möchte sich Nancy noch mehr auf ein ausführliches Studium der Bible konzentrieren – „if I want to become a pastor, I will be pastor. And I know that it’s getting there, I just need to dedicate myself more.” Das sagt sie auch vor dem Hintergrund, dass die meisten Kirchen weiterhin männlich dominiert sind: „[In some Churches] all their leadership right from the top to down are male. Again, women are the ones that play key roles, they are like foundations that are actually holding all these churches. You go to the Catholic Church where women are so instrumental in keeping the church the way it is, but then they are not at leadership, which is what I don’t understand. […] It’s a no-no for me.”

Bibelstudium

Im Alltag, sowie auf gesellschaftliche Fragen findet Nancy ihre Antworten immer in der Bibel: „[E]ven recently the Holy Spirit just directed me to read the Bible and it talks about child marriage, very interesting. Exodus 22:16-17. [And the word of God] fits perfectly into our laws whereby if you marry, or you want to forcefully marry a girl or you impregnate a girl it will come with certain consequences, it is in the Bible.”

Samuel und ich besuchen Nancy im Abendgottesdienst

Auch gebe die Bibel Anleitungen zu Genderrollen zuhause: „[I]n every Christian home I understand and accept that the man is the leader, because the word of God instructs us that Christ is the head of the church. Jesus Christ came and then he established the church, so he is the head of the church and the husband is the head of the family. […] It however does not mean that the man being the leader should oppress the woman or subdue the woman in a way that would make the woman unhappy or hurt. Because the word goes ahead to also give the man responsibility: actually, in the Bible it says that the man is supposed to love the wife. […] If you love somebody you are not supposed to hurt the person, you are supposed to give the person a fair share of your property. […] Being a leader does not mean that I have to take all the decisions in the home, no, that’s a very bad leadership.”

Auch die Rolle der Frau sei ihrer Meinung nach zwar klar definiert, jedoch häufig fälschlich ausgelegt: Mit ihrer Verantwortlichkeit, sich um das Haus zu kümmern, wäre ihre Rolle von gleicher Wichtigkeit wie die des Mannes. „[Furthermore, the Bible] gives women a responsibility to go out there and come back with the resources that are needed to run the home. […] So under normal circumstances […] we would be out there doing the work Proverbs 31:10-31.” Unlike some societies were women’s potentials and contribution to the household and the development of the society are relegated to the background or supressed.

Meine Partner:    weltwärts      bezev e.V.     Norsaac

 

 

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Ein FSJ in Ghana Folge 16: Klima und Natur

Während der Harmattan-Saison sind alle Straßen trocken und staubig – hier eine Demonstration.

Heute wurde unser Air Conditioner im Büro repariert. Anstatt jedoch unseren wiedergewonnenen Komfort zu genießen, haben wir die Kühlung gleich wieder ausgeschaltet – es war bereits zu kalt. Das liegt am Regen, der nachts gefallen ist, und an den Wolken, die seitdem den Himmel bedecken.

Noch vor wenigen Wochen wäre das unvorstellbar gewesen. In diesem Beitrag möchte ich deshalb ein bisschen darauf eingehen, welchen Einfluss das Smalltalk-Thema Wetter, oder vielmehr Klima, hier auf Natur, Landschaft und Gesellschaft hat.

Regen- und Trockenzeit

An diese Einführung muss ich ehrlicherweise anschließen, dass es aktuell 33°C hat. In Deutschland wäre ich bei solchen Temperaturen in Gedanken wohl schon beim nächsten Eisladen, wenn nicht schon komplett im Urlaub. Für Tamale sind Werte zwischen 35°C und 40°C allerdings mehr als normal.

Bei meiner Ankunft im Oktober war ich überrascht, wie schnell ich mich an dieses tropische Klima umgewöhnen konnte. Inzwischen bin ich lediglich überrascht, wenn ich abends aus dem Haus trete und die Luft nicht kälter, sondern wärmer als drinnen ist. Abgesehen davon arbeite ich jedoch trotz der Temperaturen normale acht Stunden, mache Sport und esse erstaunlich schweres Essen.

Blick aus dem Auto auf dem Weg nach Bolga, Dezember 2021

Innerhalb dieses unaufgeregten Umgangs mit Hitze allgemein gibt es aber große Unterschiede zwischen dry und rainy season. Bisher habe ich hauptsächlich die trockene Harmattan-Saison mitbekommen – für Tamale bedeutet das knapp fünf Monate ohne Regen. In Zusammenhang mit den Sahara-Winden habe ich das Wort „Catarrh“ kennengelernt, was zu meiner Überraschung Englisch ist und „Erkältung“ bedeutet. Mit der Trockenheit kam allerdings nicht nur Husten, sondern auch Staub. Die meisten Pflanzen verloren ihre Blätter oder wurden abgebrannt. Der Harmattan zeichnete sich insbesondere durch kalte Nächte und dementsprechend kalte Morgenduschen aus. Tagsüber hingegen stach die Sonne vom wolkenlosen Himmel, aber dank der niedrigen Luftfeuchtigkeit schwitzte ich kaum.

Im März änderte sich das Klima dann schlagartig: Im heißesten Monat rollten Schweißtropfen meine Beine hinab, selbst wenn ich mich nicht bewegte. Am Tag fünf Liter Wasser zu trinken ist deshalb generell kein Problem. Zu dieser Zeit begannen dann auch die ersten Regenfälle: Regen kündigte sich durch drückende Hitze an, die sich abends zu Gewitterwolken staute und dann nachts in heftigen Regenschauern entlud.

Inzwischen zähle ich nicht mehr mit, wie oft es schon geregnet hat (etwa zehn Mal). Generell wurden die Regenfälle regelmäßiger, länger und weniger extrem. Für mich fühlt es sich jedoch jedes Mal so an, als würde der Regen das Leben irgendwie verlangsamen. Ich glaube, das liegt daran, dass bei Regen alle im Haus bleiben, weil viele Straßen durch den Sturzregen zu gefährlich werden. Jedenfalls sind die Straßen dann leer, es ist ganz ruhig und Termine werden nach hinten verschoben. Wenn die letzten Tropfen fallen, beginnt das Leben dann langsam wie neu.

Letztens habe ich gehört, Regentropfen seien die Tränen Gottes. Daraus spricht meiner Ansicht nach die Abhängigkeit vom Regen: Im Norden sind fast alle Haushalte landwirtschaftlich tätig. Somit verspricht Regen nicht nur eine willkommene Abkühlung, sondern vor allem eine gute Erntesaison.

Blick aus dem Auto auf dem Weg nach Bolga, April 2022.

Während der Trockenzeit malte ich mir häufig aus, wie Tamale quasi über Nacht grün werden würde. Ich erwartete, dass die verbrannten Grasflächen plötzlich Wiesen wären und der Wald wieder so verwachsen und undurchdringlich wie bei meiner Ankunft würde. Naja, so schnell ging es dann natürlich nicht. Trotzdem hinterlässt der Regen bereits seine Spuren: Pflanzen sprießen an allen unerwarteten Stellen, sodass ich viele Wege kaum noch wiedererkenne, und beim Blick in den Wald kann ich inzwischen nicht mehr die andere Seite sehen.

Norden und Süden

Diese Beobachtungen und Erfahrungen lassen sich alledings nur auf Tamale beziehen. 160 Kilometer weiter nördlich in Bolgatanga ist das Klima noch extremer: Während die Temperaturen in Tamale nicht unter 20°C fallen, brachte der Harmattan in Bolga nachts schon mal unter 15°C – und am Tag über 40°C. Halb im Spaß wird das häufig damit begründet, dass Bolga weiter oben und damit näher an der Sonne ist.

Mitten in der Palmöl-Plantage im Süden entdeckten Signy und ich eine kleine Ananas!

Wahr ist aber auch, dass es in Richtung Süden (also in Richtung Ozean) immer feuchter wird. Sowohl Qualität, als auch Quantität der Regenzeiten unterscheiden sich nämlich: Während es im Norden nur eine einzige Regenzeit hat, regnet es im Süden in zwei Regenzeiten und selbst gelegentlich während der Tockenzeiten um bis zu 50% mehr.

Einige unsichtbare Trennlinie durchläuft das Land beinahe mittig: Sie teilt die natürliche Vegetation in Savanne im Norden und Wald (teilweise sogar immergrünen Regenwald) im Süden. Durch die zweite Regensaison gibt es im Süden eine zweite Erntesaison. Beinahe ganzjährig wachsen hier dann Plantain (Kochbananen), Kokosnüsse und Kakaobäume, sowie alle weiteren erdenklichen Tropenfrüchte. Diese werden dann in LKWs nordwärts transportiert, für den Rückweg werden die Trucks mit Zwiebeln, Yam und Erdnüssen beladen.

Diese Zweiteilung beeinflusst natürlich auch die Ernährung im Land, wie ein einfaches Beispiel zeigt: Das aus meiner Sicht häufig fälschlicherweise als „Nationalgericht“ bezeichnete Fufu wird im Süden aus Cassava und manchmal Plantain gestampft, während im Norden ausschließlich Yam verwendet wird.

Ich habe daher die These, dass noch mehr der zahlreichen kulturellen und gesellschaftlichen Unterschiede zwischen Norden und Süden im Zusammenhang mit diesen Klimaunterschieden stehen.

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