Ein FSJ in Ghana Folge 35: Tamales erstes Graffiti

Ein FSJ in Ghana Folge 35: Tamales erstes Graffiti

Die erste Skizze: Eine junge Mutter schließt erfolgreich die Schule ab.

Vor etwa einem Jahr erstellten wir die ersten Skizzen – seit dem 05. März diesen Jahres hat Tamale offiziell sein erstes Graffiti. Über alles dazwischen und darüber hinaus möchte ich euch in diesem Beitrag mehr erzählen. 

Entwurf

Schon seit Jahren glich Tamales Innenstadt einer großen, chaotischen Baustelle. Direkt im Zentrum sollte das wohl größte Prestigeprojekt der Stadt entstehen: eine Brücke von 1,1 Kilometer Länge, die den Überlandverkehr über den Markt und direkt an der Zentralmoschee vorbei weiterleiten soll. Nur zwei Jahre – aber viele Umleitungen – später war es am 28. März 2022 so weit: Der amtierende Präsident Nana Akufo-Addo weihte die sogenannte Overhead ein.

Ungefähr zum selben Zeitpunkt entstand im Büro eine Idee. Das Ziel: Den öffentlichen Diskurs hinsichtlich jener gesellschaftlichen Probleme zu beeinflussen, welche die persönliche Entwicklung und soziale Teilhabe junger Menschen limitieren. In ersten Entwürfen stellten wir Vergewaltigung, Kindesheirat, Jugendschwangerschaft oder ökonomische Ausbeutung schattenhaft dar, und visualisierten somit die Kernthemen des Programms Power to You(th) (siehe Folge 21). Diese dunklen Silhouetten kontrastierten wir mit Porträts, welche die positi

Unsere internen Entwürfe.

ve Vision einer geschlechtergerechten Gesellschaft kreierten: Die Mädchen und jungen Frauen treffen nun informierte Entscheidungen, verfügen über gleiche Bildungs- und Arbeitschancen und nehmen aktiv an Entscheidungsprozessen teil. 

Projektdurchführung

Nachdem wir uns intern auf ein Konzept geeinigt hatten, begannen wir unser Anliegen nach außen zu tragen: Zum einen gelang es uns in Gesprächen mit der Tamale Metropolitan Assembly (quasi dem Gemeinderat), eine Fläche auf der Overhead zu mieten. Zum anderen engagierten wir Jugendnetzwerke in Tamale, die fest in alle weiteren Vorbereitungen sowie das eigentliche Anbringen des Graffiti eingebunden waren; da der Programmfokus von Power to You(th) auf der ganzheitlichen gesellschaftlichen Partizipation junger Menschen liegt, sammelten die Jugendnetzwerke eigene Ideen und konkretisierten damit die bestehenden Entwürfe. 

Die Jugendnetzwerke beteiligten sich aktiv an dem Graffiti.

Schließlich war es dann so weit: Unter der Anleitung eines jungen Künstlers grundierten wir zuerst die gesamte gemietete Fläche orange und sprayten probeweise Symbole in den Hintergrund. Mithilfe von vorgefertigten Schablonen ließ der Künstler nach und nach das Design entstehen, welches wir später mit Pinsel noch feiner bearbeiteten. Währenddessen kamen immer wieder interessierte Passant*innen, die mehr über das Projekt erfahren wollten. 

Ergebnis 

In das finale Design sind viele Überlegungen geflossen – diese begannen mit dem zur Verfügung stehenden Platz und endeten bei der Kleidung, welche möglichst neutral bezüglich religiöser und kultureller Zugehörigkeiten sein sollte. Meiner Meinung nach entstand so ein eindeutiges Bild, welches jedoch weiterhin Raum für Interpretation und öffentliche Debatten lässt. 

Das endgültige Graffiti bildet ein junges Mädchen in Schuluniform ab, welches sich den hochschwangeren Bauch hält; unter Jugendlichen treten Schwangerschaften meist ungeplant auf und tragen ein erhöhtes gesundheitliches Risiko für Mutter und Kind. Zusätzlich verlassen viele junge Mütter vorzeitig die Schule und werden von gesellschaftlichen Normen in die soziale Isolation gedrängt.

Am späten Abend setzten wir die letzten Striche.

Besonders das gesellschaftliche Verbot gegenüber Frauen von Sex vor der Ehe bewegt viele Familien dazu, eine junge Mutter minderjährig illegal zu verheiraten. Vor diesem Hintergrund kann das Graffiti auch Aufmerksamkeit auf Kinderheirat sowie den Umstand lenken, dass viele Ehefrauen finanziell und emotional abhängig von ihrem Ehemann sind. Schließlich trägt das abgebildete Mädchen schwere Verletzungen im Gesicht, welche auf Vergewaltigung oder häusliche Gewalt hinweisen können. Außerdem bedeckt eine muskulöse Männerhand ihren Mund; diese unterschwellige Gewaltanwendung entmachtet das Mädchen ihrer Stimme. Auch in unserer männlich dominierten Welt trauen sich viele Überlebende sexueller oder häuslicher Gewalt nicht, nach Hilfe zu suchen – unter anderem deshalb, weil die Gesellschaft die Schuld lieber bei den Opfern als bei den Täter*innen sucht. 

Das finale Design.

Somit macht das Graffiti auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam, die weltweit Frauen, Mädchen und Menschen diverser Geschlechtsidentitäten strukturell in ihrer Selbstentfaltung beeinträchtigen. Sowohl im Globalen Süden als auch im Globalen Norden existieren patriarchale Strukturen – allerdings nehmen diese verschiedene Formen an und werden durch unterschiedliche gesellschaftliche Normen am Leben gehalten. Aus dieser Perspektive heraus möchte ich auf die Notwendigkeit von „Local Ownership“ hinweisen; das bedeutet einerseits, dass Gesellschaften sozialen Wandel selbst initiieren und prägen. Gleichzeitig kritisiert der Begriff aber auch, dass westliche Länder im Zuge der Entwicklungszusammenarbeit häufig selbsterkorene Lösungen vorgeben, die allerdings losgelöst vom eigentlichen gesellschaftlichen Kontext sind. Oder anders gesagt: Was in Deutschland funktioniert, funktioniert nicht automatisch in Ghana und umgekehrt.

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