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Ein FSJ in Ghana Folge 15: In Tamale und um Tamale und um Tamale herum

Am Independence Day am 06. März wurde der Jubilee Park für die offizielle Feier genutzt – neben wichtigen Reden marschierten die verschiedenen Schulen im alljährlichen Wettkampf mit- und gegeneinander, das junge Publikum konnte dabei alle möglichen Snacks genießen

Mein Kollege Hamza hat mir letztens erzählt, wie Tamale eigentlich an seinen Namen kam: Der Shea-Baum heißt in der lokalen Sprache Dagbani „Tama“ und war Zentrum für die Community ebendiesen Namens. Seit ihrer Gründung ist die Community Tamale immer weiter gewachsen und mit angrenzenden Communities untrennbar verschmolzen. Heute zählt die drittgrößte Stadt Ghanas und regionale Hauptstadt der Northern Region offiziell knapp eine Millionen Einwohner*innen und ist die am schnellsten wachsende Stadt Westafrikas.

Dementsprechend vielfältig ist Tamale auch – ich möchte euch nach einem halben Jahr hier erzählen, was man alles machen kann, was ich gerne mache und auch, wozu ich noch nicht kam.

 

Auf der Suche nach Sehenswürdigkeiten

In Tamale prägen Moscheen das gesamte Stadtbild. Die wohl prominenteste Sehenswürdigkeit ist dementsprechend die große, grün-weiße Central Mosque mitten im Stadtzentrum.

Ansonsten besteht das Stadtzentrum hauptsächlich aus dem Central Market, dem größeren und älteren der zwei großen Märkte. Hier lässt sich von Stoffen über Backpulver bis hin zu Snacks alles Wichtige finden, wer sich nicht auskennt fragt aber am besten gezielt nach.

Unweit der Central Mosque ist zudem der Paramount Chief’s Palace. Jede Community hat traditionell einen eigenen König, der Paramount Chief ist das wichtigste traditionelle Oberhaupt ganz Tamales. Für unsere Vorstellungen von Palästen wirkt sein Wohn- und Arbeitsplatz relativ unscheinbar und fällt von außen hauptsächlich durch seine tief türkisene Farbe auf. Ansonsten folgt der Palace der traditionellen Lehmarchitektur, die heute vor allem im Norden des Landes noch Verwendung findet: Ein Compound wird aus mehreren kreisrunden Räumen gebildet, die sich zu einem gemeinsamen, zentralen Hof hin anordnen. Die Materialien Lehm und Stroh wirken dabei wie natürliche Klimaanlagen.

In Laufentfernung befindet sich der Jubilee Park, ein weiter Platz mit Sitzrängen. Gewöhnlich dient der sonnige, staubige Platz höchstens für Fußballtrainings, ist aber gleichzeitig Veranstaltungsort.

Etwa zwei Jahre hat Tamale gespannt (!) auf seine Overhead gewartet, bis der Präsident Nana Akufo-Addo sie am 28. März drei Monate vor dem Zeitplan offiziell einweihte. Kreativ als Jumpdown, Flyover oder auch Interchange bezeichnet handelt es sich hierbei hauptsächlich um eine 1,1 Kilometer lange Straße in zehn Meter Höhe quer durch die Innenstadt.

Hier laufen die Vorbereitungen für ein Konzert im Stadion, das ich im November ich mit einem Freund besuchte.

Eine weitere moderne Sehenswürdigkeit ist das Aliu Mahama Sports Stadium, welches 2008 eröffnet wurde und über 20.000 Menschen fasst. Hauptsächlich wird das nach dem vorherigen Präsidenten benannte Stadion für Fußballspiele genutzt, bietet aber ebenso wie der Jubilee Park regelmäig Veranstaltungen an.

(Er-) lebenswürdig

Das sind bereits so gut wie alle Sehenswürdigkeiten in Tamale. Insgesamt ist die Metropole eher eine Stadt zum Leben, wirkt trotz ihrer Größe dörflich. Die Besonderheiten liegen im Detail, in der Atmosphäre. Daher genieße ich es immer, einfach einer der ewig langen Straßen zu folgen, entweder hinten auf dem Motorrad oder aber zu Fuß.

Dabei trifft man überall auf Stände mit Street Food. Auch Restaurants und Bars gibt es – darunter das Crest in der Innenstadt, von dessen Dachterasse man einen wunderbaren Blick zur Central Mosque und den Markt hat. Wer westlicheres Essen sucht, wird eigentlich immer in den (etwas teureren) Hotels fündig. Ich habe trotzdem seit einem halben Jahr keine Pizza mehr gegessen und finde die Hotels eher aufgrund ihrer öffentlichen Pools attraktiv. Etwas gezielter muss man suchen, wenn man in einen Club möchte. Tatsächlich habe ich bisher nur Erzählungen von durchtanzten Nächten gehört, wurde selbst auf meiner Suche nach Clubs aber noch nicht fündig.

Tagesausflüge

Ansonsten ist Tamale hauptsächlich aufgrund seiner strategischen Lage bei Händler*innen und Tourist*innen beliebt. Es liegt auf der dicht befahrenen Nord-Süd-Verbindung und ist nur wenige Stunden von Ghanas bekanntesten Nationalpark, dem Mole Park, entfernt.

Während der Trockenzeit ist der höhlenartige Vorsprung hinter dem ersten Wasserfall noch zugänglich.

Gute drei Stunden weiter südlich befinden sich zudem die Kintampo Waterfalls, die ich vor einigen Wochen gemeinsam mit Sophia aus Bolgatanga besuchte. Die erste Stufe des Wasserfalls ist nur wenige Meter tief und wir genossen ein richtiges Picknick auf wasserumspülten Felsen und unter dem stetigen Strom an Tourist*innen. Dann folgten wir dem ruhigen Fluss, der zwar ganzjährig Wasser führt, in der Regenzeit aber wesentlich stärker ist. Schließlich kamen wir zum eigentlichen Wasserfall, der weit in die Tiefe fällt. Über die Schlucht gibt es eine freihängende Brücke und unten im Wasserstrahl badeten einige der Besucher*innen.

 

Ein Ausstellungsstück der Art Gallery sind sonnenfarbene Capes, welche ursprüglich für ein Projekt (ein Spaziergang in absoluter Stille) angefertigt wurden.

Zu guter Letzt muss ich noch das Savanah Centre for Contemporary Art (SCCA) erwähnen – ein Ausstellungsraum in Tamale, der aktuell die zeitgenössische Austellung „Existing Otherwise“ präsentiert. Das Museum habe ich bewusst den „Tagesausflügen“ zugeordnet, weil ich in der angeschlossenen Bibliothek wohl noch viele Stunden verbringen werde. Außerdem erbaut der Künstler und Initiatior der Art Gallery Ibrahim Mahama derzeit weitere Räumlichkeiten am äußersten Stadtrand. Hier soll später Platz für direkten künstlerischen Austausch, eine Bibliothek weitere Austellungsräume sein. Auf dem Gelände befinden sich zudem sechs alte Flugzeuge, die umgebaut wurden und nun regelmäßig für Malworkshops mit Kindern genutzt werden.

Die Studios befinden sich aktuell noch im Bau und bieten so die perfekte Kulisse für den zweiten Teil der Ausstellung „Existing Otherwise“ – hier ein lebendiges Labyrinth aus lauter Sackgassen, welches das Spannungsgefüge von Freude und Frust, Wachstum und Aufgeben bereithält.

Immer wieder bin ich von Tamale und seinen Orten und Menschen überrascht. Inzwischen habe ich zwar meine üblichen Orte und Wege, weiß aber auch, dass ich noch viel Neues zu sehen habe.

Meine Partner:    weltwärts      bezev e.V.     Norsaac

 

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Ein FSJ in Ghana Folge 14: Projektarbeit

Die Teilnehmerinnen waren aktiv dabei und erhielten am Ende Binden.

Es ist inzwischen wieder eine ganze Weile her, dass ich von meiner Einsatzstelle NORSAAC erzählt habe und seitdem ist so Einiges passiert; nach der eher allgemeinen Einführung im vergangenen Beitrag möchte ich heute ausführlicher von einem Programm berichten, das ich zu Beginn des Jahres ziemlich eng begleiten durfte.

Very Young Adolescents (VYA)

Das Programm heißt „Very Young Adolescents“ und läuft mit finanzieller Förderung der britischen Stiftung Empower seit dem Jahr 2012 in Nordghana. Dem Namen entsprechend sind sehr junge Jugendliche die Zielgruppe, genauer gesagt Mädchen im Alter von neun bis 14 Jahren.

Die Teilnehmerinnen sollen durch das Programm nicht nur Wissen vermittelt bekommen, sondern auch ihr Selbstbewusstsein steigern und Visionen erhalten – mit dem Ziel, so langfristig sexistische Gesellschaftsstrukturen aufzubrechen und Armut zu reduzieren. Dafür besprechen sie in angeleiteten Safe-spaces ganz verschiedene Themen rund um Pubertät, Geschlechterrollen und reproduktive Gesundheit.

Ich selbst war bei den Themen Menstruation und Repräsentation von Frauen involviert und bereitete dafür im Januar nach Absprache mit den zuständigen Mitarbeitenden bei NORSAAC entsprechende Flipcharts vor. Anfang Februar trafen die finanziellen Mittel für Transportkosten und Anschaffung von Binden ein, wodurch wir mit der Implementation in zwei Distrikten beginnen konnten (Distrikte sind mit deutschen Wahl- oder Landkreisen vergleichbar).

„On field“ in Karaga

Mein Kollege Hamza und ich halten den Workshop zusammen.

Mein Kollege Hamza organisierte, dass ich ihn bei der Projektdurchführung im Distrikt Karaga begleiten konnte. Hier unterhält NORSAAC ein weiteres Büro, welches von Hamza geleitet wird. Allerdings ist Karaga über zwei Stunden von Tamale entfernt, weshalb ich hier zum ersten Mal für eine ganze Woche am Stück „on field“ arbeitete.

Wir erreichten Karaga am Montag, den 07. Februar, in bereits anbrechender Dunkelheit und Hamza zeigte mir das Büro, in welchem wir auch den Dienstagvormittag verbrachten. Da viele der Projektteilnehmerinnen noch zur Schule gehen, konnten wir uns erst nach dem Mittagessen auf den Weg zu den angedachten zwei Communities machen. Hier hatten die Ansprechpersonen bereits die rund 15 Jugendlichen im Zentrum der Community versammelt und wir begannen pünktlich mit dem Projekt – da ich mit den Folien am besten vertraut war, durfte ich sogar den Workshop halten, Hamza übersetzte und ergänzte dabei immer.

Einführend betrachteten wir die Verteilung an Führungspositionen, oder besser gesagt die massive Unterrepräsentation von Frauen in machtvollen Positionen weltweit. Diese zeigt sich auch im ghanaischen Parlament oder auf lokaler Ebene in Communities und Schulen, wie die Teilnehmerinnen erzählten: so ist der Schulsprecher in den meisten Fällen männlich, Schülerinnen hingegen übernehmen eher assistierende Rollen. Gemeinsam sammelten wir Gründe für diese ungleiche Verteilung, darunter gesellschaftliche Faktoren wie fehlende Rollenbilder oder unterschiedliche Bildungschancen. Die daraus resultierende Unterrepräsentation von Frauen bedeutet unter anderem, dass weibliche Perspektiven in Entscheidungsprozessen kaum Berechtigung finden.

Die Teilnehmerinnen nannten immer wieder fehlendes Selbstbewusstsein als Grund für weibliche Unterrepräsentation und bezogen sich damit auf den ungleichen Sozialisierungsprozess von Jungs und Mädchen. Daher ging es im Workshop auch um die Stärkung des Selbstvertrauens: In Partnerinnenarbeit sagten sich die Jugendlichen gegenseitig, was die jeweils andere für eine Führungsrolle auszeichnet.

Hier übertrage ich die Präsentation auf Flipcharts.

Außerdem sprachen wir auch über Menstruation und wiederholten dafür zunächst den Menstruationszyklus. Danach erzählten die Teilnehmerinnen von gesellschaftlichen Tabus, von (Unterleibs-) Schmerzen, von Krankheitssymptomen wie Schäche, Appetitlosigkeit oder Fieber und von Stimmungsschwankungen. Zudem thematisierten wir die Bedeutung von Menstruationshygiene, passend dazu erhielten alle Jugendlichen am Ende ein Paket an Binden.

Der Workshop dauerte etwa eine gute Stunde und wir wiederholten ihn am Mittwoch und Donnerstag in jeweils drei weiteren Communities. Auch wenn wir die Inhalte somit acht Mal wiederholten, blieb die Arbeit mit den teils sehr unterschiedlichen Gruppen spannend und wir passten den Workshop zunehmend an. Die praktische und menschen-nahe Arbeit gefiel mir sehr, abends fühlte ich mich durch die langen Fahrten, das viele Reden und die brennende Sonne allerdings auch ziemlich müde. Trotzdem war der Tag damit noch nicht vorbei: Im Hostel angekommen kümmerte ich mich entweder um meine staubige Wäsche, oder füllte den Projektbericht aus. Hamza und ich ließen die Abende aber immer gemütlich beim gemeinsamen Abendessen ausklingen, bei dem wir uns über die großen Unterschiede zwischen der Metropole Tamale und dem dörflichen Karaga unterhielten, über Religion, über den Brexit, über seinen kürzlichen Umzug und über Vieles mehr…

Für alle Wege verwendeten wir das Motorrad, aufgrund der Trockenzeit waren die Feldwege zu den Communities ziemlich staubig.

So sieht exemplarisch eine Projektimplementation bei NORSAAC aus, wobei VYA nur eines von knapp 25 unterschiedlichen Programmen der Organisation ist. Diese Programme verfolgen dabei unterschiedliche Strategien für nachhaltiges Empowerment, unter anderem mittels ökonomischer Chancen, Gesundheitsvorsorge oder Bildung – mehr dazu gibt es auch in meinem Beitrag „Die Einsatzstelle NORSAAC„.   Ich hoffe jedenfalls, euch demnächst wieder so ausführlich von einem Projekt berichten zu können!

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Ein FSJ in Ghana Folge 13: Zwischenseminar

Unsere Arbeitsumgebung

Erfahrungen, Emotionen und Meer – vom 14. bis 19. Februar fand als verpflichtender Bestandteil des weltwärts-Freiwilligendienstes mein Zwischenseminar statt. Von diesen paar Tagen nehme ich viel Input mit, in den ich euch hier einen kleinen Einblick geben möchte:

Programm

Zuerst einmal das wichtigste: Das Zwischenseminar fand in paradisischer Kulisse an der Küste des Dorfes Ampenyi nahe Cape Coast statt. Unter Kokospalmen spielten wir im brenned heißen Sand Volleyball, kühlten uns in schäumenden Wellen ab und genossen sehr, sehr leckeres Essen.

Wie auch schon beim Vorbereitunsseminar war unser Programm sehr vielfältig und die Methoden kurzweilig.

Wir haben aber auch inhaltlich gearbeitet: Zuerst beschäftigten wir uns mit unseren Erfahrungen bezüglich Einsatzstelle, Freundschaften und Freizeit. Im Austausch konnten wir uns gegenseitig gut in unseren Herausforderungen unterstützen, da sich diese trotz unserer unterschiedlichen Lebenssituationen häufig erstaunlich ähnlich sind. Ebenfalls motivierend war eine Reflexion vergangener Erwartungen, welche wir jetzt in wesentlich realistischere Pläne umwandeln können.

Darüber hinaus setzten wir den Freiwilligendienst in den größeren Kontext gesellschaftlicher und globaler Strukturen. Als Mahnmal des transatlantischen Sklav*innenhandels diente unser Besuch im Cape Coast Castle als Ausgangspunkt, uns mit Ghanas Kolonialgeschichte auseinanderzusetzen und bestehende Machtgefälle zwischen Globalem Süden und Globalem Norden als postkoloniale Folgen zu betrachten. Hierunter besprachen wir beipielsweise unsere Rolle in kultureller Aneignung oder nahmen wahr, wie einseitig unser Verständnis von „Entwicklung“ verinnerlicht ist.

Gruppenbild aller 18 Freiwilligen von drei Entsendeorganisationen sowie die zwei Koordinatorinnen von bezev.

In Kleingruppen oder großer Runde, in der Freizeit oder im Einzelgespräch mit bezev hatten wir alle ein immenses Austauschbedürfnis. Das lässt mich mit vielen Eindrücken, aber auch dem Bedürfnis nach mehr Gesprächen zurück.

Bedeutung des Freiwilligendienstes

Schon vor meinem eigentlichen Freiwilligendienst hat mich dieses Thema beschäftigt. Inzwischen habe ich ein paar Erfahrungen mehr gemacht und ein paar Gespräche mehr geführt. Auf dem Zwischenseminar beschäftigten wir uns ebenfalls mit den unterschiedlichen Rollen von uns Freiwilligen und auch, wie Erwartungen und Realität in den wenigsten Fällen übereinstimmen. Im Folgenden möchte ich deshalb einige Gedanken und eigene Schlussfolgerungen dazu teilen. Anführungszeichen setze ich bewusst da, wo Begriffe hauptsächlich einer westlichen Definition folgen.

Eure genauso wie meine Vorstellungen von „Afrika“ sind extrem verzerrt, geprägt durch ein monothematisches Medienbild. Entweder es handelt sich um Reisen, dann sehen wir Tiersilhouetten vor untergehender Sonne, Menschen in traditioneller Kleidung, sogenannte „Exotik“. Oder aber Katastrophenbilder und Spendenaufrufe suggerieren Bedürftigkeit, Uneigenständigkeit, „Armut“.

Auch anders herum zeigen die Musikvideos und Filme hier hauptsächlich den „Reichtum“ westlicher Länder und erzeugen so ebenfalls unzureichende Vorstellungen.

In einer Einheit beschäftigten wir uns mit unterschiedlichen Rollen von uns Freiwilligen.

Obwohl dieses Medienbild sehr verzerrt ist und niemals der gelebten Vielfalt gerecht werden kann, beeinflusst es mich, mein Umfeld in Ghana und in Deutschland – und führt zu Erwartungen von allen Seiten. Es scheint mir häufig so, als würde ich auf der einen Seite als „Expertin für Afrika“ und andererseits als Repräsentantin der weißen westlichen Welt wahrgenommen werden, Rollen, die ich weder erfüllen kann noch möchte. Darüber hinaus sind meine zwischenmenschliche Beziehungen hier im Gastland von beidseitigen Vorurteilen geprägt und ich merke immer wieder, wie diese Vorstellungen mein Verhalten und Verhalten mir gegenüber beeinflussen. Mein Wunsch nach Integration, danach, nicht als fehlerfrei oder höhergestellt betrachtet zu werden, trifft daher nicht selten auf Hürden.

Um falschen Erwartungen entgegenzuwirken möchte ich daher ein bisschen auf meine Rollen als Freiwillige eingehen:

1. Lernen: Mitte Oktober hat sich meine Lebenssituation so starkt verändert wie noch nie zuvor, täglich bin ich mit neuen Erfahrungen konfrontiert. Indem ich diese bewusst wahrnehme und reflektiere, lerne ich ständig über mich und mein Umfeld.

2. Austausch: Jede Begegnung stellt einen Austausch dar – deshalb sehe ich im Nachfragen und Zuhören meine Hauptaufgabe. Nur so beginne ich, andere Perspektiven wertzuschätzen und Vorurteile abzubauen. Auch anders herum trage ich durch meine Erzählungen und Verhaltensweisen zu einem differenteren Bild der westlichen Welt bei, wenn ich beispielsweise selbst körperlicher Arbeit nachgehe, eigene Schwächen zugebe oder post-materialistische Werte demonstriere. Und obwohl meine Berichte nach Deutschland natürlich immer nur meine eigenen, subjektiv beeinflussten Erfahrungen widerspiegeln, hoffe ich doch, das vorherrschende Medienbild um ein paar Facetten bereichern zu können.

3. Engagement: Der weltwärts-Freiwilligendienst an sich darf nicht als häufig sogenannte „Entwicklungshilfe“ betrachtet werden – ich bin viel zu unqualifiziert und unerfahren, um in meiner Einsatzstelle etwas zu beeinflussen (wer wissen möchte, weshalb der Begriff „Hilfe“ in diesem Zusammenhang so kritisch ist, kann sich gerne mit „White Saviorism“ beschäftigen). Es handelt sich vielmehr um einen Lerndienst, in dem ich zu einer eigenständigeren und weltbewussteren Person wachse – und mein erlerntes Wissen im besten Fall später einsetze. Genau dieser Einsatz ist auch der Grund, weshalb der Freiwilligendienst von Geldern aus der Entwicklungspolitik finanziert wird.

Das alles möchte ich auch in meinen Berichten so weit wie möglich berücksichtigen. Und auch wenn nicht alle Erwartungen der Realität entsprechen, schaffe ich es doch immer mehr, mich ohne ein vorgefertigtes Bild auf neue Situationen einzulassen.

Meine Partner:    weltwärts      bezev e.V.     Norsaac

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Ein FSJ in Ghana Folge 12: Reise durch den Süden

Schon von der sonntäglich leeren Kejetia Markthalle neben dem Marktplatz war ich äußerst beeindruckt

Der Titel verrät es schon, heute bekommt ihr einen Reisebericht von mir; anlässlich meines Zwischenseminars hatte ich mir eine Woche freigenommen und fuhr das erste Mal seit meiner Ankuft in Ghana südwärts. Auf meiner Tour durfte ich erneut die Vielfalt Ghanas erahnen: Erstens, da sich Norden und Süden des Landes in zahlreichen Aspekten von Klima und Landschaft, über Religion, Kleidung und Sprache(n) bis hin zu Architektur und Verkehr unterscheiden. Und zweitens durch die vielen unterschiedlichen Eindrücke unterwegs.

Meine Tour (zum Nachverfolgen und gegen Verwirrung)

12.02.: Fahrt von Tamale nach Kumasi

13.02.: Tag in Kumasi und Nachtfahrt nach Cape Coast

14.02.: Ankunft in Cape Coast und Beginn des Zwischenseminars

15.02. – 18.02.: Zwischenseminar

19.02.: Ende des Zwischenseminars und Fahrt zum Ankasa Nationalpark

20.02.: Ankasa Nationalpark und Fahrt nach Takoradi

21.02.: Takoradi, Elmina und schließlich Ankunft in Agona Swedru

22.02.: Tag 1 in Agona Swedru

23.02.: Tag 2 in Agona Swedru

24.02.: Tagesausflug zum Big Tree

25.02.: Tag in Accra und Nachtfahrt nach Tamale

26.02.: Ankunft in Tamale

Städte

Neben dem Independence Square steht das sogenannte Black Star Monument, welches nach Nkrumahs Unabhängigkeitserklärung erbaut wurde.

Als Knotenpunkte auf meiner Reise erhielt ich kleinen Einblicke in verschiedene Städte, angefangen mit Kumasi. Kumasi ist die zweitgrößte Stadt Ghanas und hat als ehemaliges Zentrum des Ashanti-Königreiches eine bedeutsame Geschichte, die bis heute bemerkbar ist. Zudem ist die Stadt für den größten Freiluftmarkt Westafrikas bekannt – allerdings finden hier derzeit Bauarbeiten statt und ich war leider an einem Sonntag vor Ort, an dem die meisten Läden und Stände geschlossen bleiben. Stattdessen besuchte ich daher eine Freundin aus Tamale, war im Zoo und lief einfach so ein bisschen durch die Straßen.

Prinzipiell das Gleiche habe ich dann in Sekondi-Takoradi gemacht, der regionalen Hauptstadt der Western Region. Neben dem Markt, der ebenfalls derzeit umgebaut wird, führte mich mein Weg knapp am Industriehafen vorbei zu dem Bahnhof, wo ich gemütlich frühstückte. Allzu lange hatte ich hier aber nicht Zeit, da ich noch am gleichen Tag weiter nach Elmina und dann nach Agona Swedru fuhr.

Agona Swedru selbst ist eine kleinere Stadt, in der drei meiner bezev-Mitfreiwilligen in der Salvation Army School for the Deaf unterrichten. Ich durfte die drei in die Einsatzstelle begleiten und habe jetzt sogar einen eigenen Gebärdennamen! Ansonsten entspannten wir hauptsächlich, entweder im Botanischen Garten oder zuhause beim Wäschewaschen.

Als Abschluss meiner Reise war ich in der wirklich riesige Hauptstadt Accra. Hier hatte ich in der Bibliothek des Supreme Courts ein sehr aufschlussreiches Gespräch über das ghanaische Justizsystem. Außerdem besuchte ich den Independence Square, wo Kwame Nkrumah am 06. März 1957 die Unabhängigkeit Ghanas als erstes afrikanisches Land ausgerufen hat. Als Revolutionär, erster Präsident Ghanas und Kämpfer für Pan-Afrikanismus ist ihm zudem ein Memorial und Museum gewidmet.

Regenwald

Das ist einer der „Upside-Down Trees“, alternativ auch „Walking Tree“ genannt.

Die gesamte Reise über war ich beeindruckt von der Landschaft: hügelig, satt grün und reich an Kokospalmen, Kakaoplantagen, Plantain-Pflanzen… Besonder nachhaltig hat mich allerdings der Besuch im Ankasa Nationalpark fasziniert. Der Ankasa Nationalpark verfügt als unberührter Primärwald über die höchste Biodiversität in Ghana, und so haben David und ich uns nach dem Zwischenseminar spontan auf den Weg dahin gemacht.

So früh wie möglich, sprich um 5.00 Uhr, verließen wir das Hostel in Richtung Nationalpark. Schon auf den letzten fünf Kilometern, die wir im Dämmerlicht an kleinen Plantagen vorbei zum Park liefen, ließ sich die Abgeschiedenheit erahnen. „Ankasa“ bedeutet übersetzt passenderweise so viel wie „Don’t talk!“.

Für den tropischen Regenwald selbst fehlen mir die richtigen Worte, nach dem Besuch war (und bin) ich jedenfalls total bezaubert. Ansonsten lässt er sich vielleicht am besten als intensiv beschreiben: Trotz seiner Abgeschiedenheit war er durch Vogelgesang und durchgängiges Grillengezirpe ganz und gar nicht still. Es roch „grün“, nach Erde, Moos und Pilzen. Von den Baumstämmen über den Boden bis hin zu mir selbst war alles klamm und feucht. Obwohl es inzwischen Tag war, blieb der Wald dämmrig. Wir konnten uralte Bäume mit ausladenden Wurzeln sowie die sogenannten „Upside-Down Trees“ sehen. So sehr wie nie zuvor wurden mir die engen Beziehungen in dem Ökosystem bewusst, in dem Flechten um den begrenzten Platz auf Baumrinden kämpfen und Lianen sich von Ast zu Ast nach oben hangeln.

Mein Geburtstag

Dieses Jahr habe ich meinen Wünsche virtuell gemacht.

Schließlich hatte ich noch Geburtstag, welcher sich im Nachhinein zwar nicht wie ein Geburtstag angefühlt hat, aber trotzdem ein wunderschöner Tag war. Schon am Abend vorher saßen wir gemütlich auf der Dachterrasse einer Bar in Swedru, Mitternacht erwarteten wir dann mit Bananen-Schokoladen-Erdnuss-Tassenkuchen aus der Mikrowelle.

Für meinen Geburtstag hatte meine Mitfreiwillige Signy freibekommen, deshalb fuhren wir nach einem späten Frühstück zu dem etwa eine Stunde entfernten „Big Tree“. Auch Baku oder Duabrantie genannt ist dieser Baum mit über 66 Metern der höchste Baum Westafrikas, es benötigt bis zu 14 Menschen, um den Stamm zu umarmen. Hier angekommen picknickten wir original mit Decke und genossen die Atmosphäre, bis wir entfernt Donner hörten. Da wir bei Gewitter nicht unbedingt in der Nähe des höchsten Baumes weit und breit sein wollten, beeilten wir uns mit dem Fotoshooting und fuhren trocken zurück nach Swedru.

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Ein FSJ in Ghana Folge 11: Verkehr

Viele Fahrzeuge tragen Motivations- oder Glaubenssprüche

So ungewohnt und teilweise auch überfordernd der Verkehr in Tamale für mich anfangs war, so elementarer Bestandteil meines Alltags ist er inzwischen. Als charakteristischer Teil dieser Stadt gehört ihm deshalb auf jeden Fall ein Beitrag in meinem Blog.

Yellow Yellows in Tamale

Die Großstadt Tamale hilft durch ihren Aufbau all den Menschen, die häufig orientierungslos sind: Der Stadtkern ähnelt einer acht aus Einbahnstraßen, von welchen sternförmig Straßen in alle Richtungen führen.

Dieser Aufbau ist auch im öffentlichen Verkehr praktisch – wer nicht gerade über das in der Regel teurere „dropping“ direkt von A nach B fährt, steigt nämlich so gut wie immer über den Stadtkern um. Hier gibt es an jeder Kreuzung, die vom Zentrum abgeht, eine Yellow Yellow-Station. Die Yellow Yellows, rikscha-ähnliche Tricycles, werden monatlich gewartet und tragen eine eigene Nummer. Mit eben dieser Nummer haben sich die Fahrer (bislang habe ich ausschließlich männliche Fahrer gesehen) an einer der Stationen im Stadtkern registriert und fahren hauptsächlich in dieser Richtung. Die Preise sind in Abhängigkeit zur Distanz ebenfalls festgelegt – da die Benzinpreise im Land derzeit regelmäßig ansteigen, rechnen viele auch mit einer Erhöhung der Regelsätze im öffentlichen Verkehr. Schon mehrfach stand im Raum, dass die Yellow Yellow-Fahrer dafür streiken werden, denn trotz der genannten Regelungen arbeiten die meisten Fahrer meines Wissens nach selbstständig.

Doch wie funktioniert der öffentliche Verkehr?

Erste Möglichkeit: Du befindest dich in der Stadt. Bei dieser Variante musst du lediglich zur richtigen Station finden oder dich alternativ durchfragen. An der Station angekommen empfangen dich die Fahrer mit der Frage „Where are you going?“ oder alternativ auf Dagbani: „A ka chanma?“ Darauf antwortest du dann mit dem Namen des Ortsteils, in den du möchtest, denn die Abzweigungen der großen, sternförmigen Hauptstraßen sind nach den Ortsteilen benannt. Die Fahrer werden dich daraufhin zu einem der Yellow Yellows führen, wo du wartest, bis auf der Rückbank drei Passagier*innen dieses Ortsteils sitzen. Und dann geht es auch schon los, meist etwa mit 30 Kilometer pro Stunde und gelegentlich mit Musik.

Zweite Möglichkeit: Du befindest dich irgendwo, aber nicht im Zentrum. Bei dieser Variante kommt es sehr darauf an, wo du zu welcher Tageszeit hinmöchtest, aber du musst zumindest ein bisschen mehr Glück haben. Dafür stellst du dich an den Straßenrand und signalisierst anfahrenden Yellow Yellows, dass du zusteigen möchtest. Die Fahrer selbst suchen während der Fahrt nämlich immer nach weiteren Mitfahrenden, die entweder hinten auffüllen oder sich neben den Fahrer setzen. Sobald ein Fahrzeug hält, gibst du deinen Ortsteil an – entweder es liegt auf dem Weg oder du musst das nächste Auto anhalten beziehungsweise kannst nur für eine Teilstrecke zusteigen. Zum Verlassen sagst du lediglich kurz vor deiner Kreuzung („junction“) Bescheid, machst einen Schulterblick, steigst aus und bezahlst.

Abdulai

Da ich selbst aber keine Expertin in diesem Thema bin, habe ich meinen guten Freund und Yellow Yellow-Fahrer Abdulai gefragt, wie er zum Fahren kam und welche Herausforderungen beziehungsweise positive Aspekte für ihn zum Fahren gehören. Den Text habe ich unverändert aus einer Sprachdatei abgeschrieben, leider musste ich aber ein bisschen kürzen (wodurch ich Schwerpunkte setze, die wiederum durch meine eigene Perspektive geprägt sind):

„[…] I’ve experienced a lot since I started driving the tricycle in 2019. After completing of Senior High School I decided to engage myself in any activities that would help me, when I’m ready to go for tertiary education, so I decided to tell the brother, who bought the the tricycle for me […].

There was a time that I qualified maybe to use it in town, move from areas to areas, from villages, town to particular villages.

I really enjoyed working with the tricycle, it was through the tricycle that I’ve got to know many people, […] like if not because of the tricycle I wouldn’t have met them in my life and those people have positively impacted me […].

For the challenges we face during doing like almost two or two to three years using the tricycle it’s really, very difficult at times. In Tamale precisely the fuel prices increasing really affects us. Like when I started using the tricycle in 2019 we used to buy fuel per liter 3 Cedis, 3 Cedis 50 Pesewas. So at that time you could just buy 20 Ghana Cedis in your tricycle, you work the whole day without even, I mean adding any additional fuel. So at that time the work was just improving.

But since, after the pandemic occurred fuel prices have been increased for currently as I speak it’s almost 7 Cedis 50 Pesewas per liter. So increasing the fuel really affects us […].“

Allgemein

Inzwischen schaffe ich es auch, ohne Festhalten zu fahren – das ist auch ein gutes Training für Bauch, Beine und Po.

Vergleiche zu anderen Metropolen sind mir bisher kaum möglich, aber es scheint mir, als sei der Verkehr in Tamale irgendwie kleiner: Was in Accra Trotros sind, das sind hier die Yellow Yellows, und die PKWs sind Motorräder. Auch Abdulai betont den Vorteil, dass die kleineren Fahrzeuge sich selbst bei hoher Verkehrsdichte überall in der Stadt bewegen können.

Das spart Zeit und Sprit – ein Motorrad hält in der Regel nicht häufiger als Finger an einer Hand sind. Trotzdem sind die Straßen oft voll und als Fußgängerin warte ich gelegentlich fast so lange wie an einer deutschen Fahrradampel: „[…] So movement within town sometimes is very difficult, and there are specific days, when you consider Sundays, Mondays and especially on Tamale market days the road is very, very busy during that period. And also within the day the busiest part of it is after 4 pm to 6 pm, passengers, traders, workers are all in hurry, I mean, trying to go to their houses. So at that time if you don’t take time, like if you are not careful when driving, you, you, you may cause accident because motor riders, cars, those tricycles we are all in a hurry […].“

Jedenfalls bin ich gespannt auf den neuen Highway über Tamales Zentrum, dessen Baustellen den innerstädtischen Verkehr ziemlich beeinträchtigen und der aber wohl bald fertiggestellt sein wird!

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